von JENS MILKER und SIMON SCHUSTER

juwissautorenfoto_jens_milkerSimon Schuster - swDer Staat und seine Institutionen müssen, wie die Gesellschaft an sich, stets mit aktuellen (technischen) Entwicklungen Schritt halten. Im Zeitalter der Digitalisierung und dem Internet X.0 weiten öffentliche Stellen ihre Aufgaben auch auf diese Bereiche aus. Im Wettkampf um Aufmerksamkeit in einem sich dynamisierenden Informationsmarkt sind auch und gerade die Polizei- und Ordnungsbehörden gehalten, die Bevölkerung aktuell und zeitnah zu informieren. Man denke nur an polizeiliche Sonderlagen, wie bei Amokläufen, Unwettern oder Ähnlichem. Soziale Netzwerke, insbesondere Twitter, spielen bei der Informationsverbreitung eine immer wichtigere Rolle. Unterzieht man das Verhalten der Behörden einer rechtlichen Betrachtung muss man konstatieren, dass sie häufig noch in einem Graubereich zu handeln scheinen. Gerade das Verhalten der Polizei- und Ordnungsbehörden, die mittlerweile in der Breite auf Twitter als schnelles und verbreitetes Informationsmedium zurückgreifen, soll hier im Fokus stehen.

Hamburg, G-20 und die Polizei auf Twitter

Die dabei entstehenden Rechtsfragen sollen vor dem Hintergrund eines Ereignisses im Umfeld des G20-Gipfels im Sommer 2017 in Hamburg diskutiert werden:

Während des G20-Gipfels betrieb auch die Hamburger Polizei einen eigenen Twitter-Account. Neben aktuellen Informationen und Hinweisen zum Demonstrationsgeschehen konnten die Nutzer*innen auch die üblichen Twitter-Funktionen, wie die Antwort- oder die ReTweet-Funktion (ggf. einschließlich eines Kommentars) verwenden.

Durch ihre Maßnahmen anlässlich des G20-Gipfels hat die Hamburger Polizei für Diskussionen in der Bevölkerung gesorgt, die vor allem über die Social-Media-Kanäle der Polizei und dabei speziell auf ihrem Twitter-Account geführt wurden. Dabei kam es unter anderem auch zu harscher Kritik an den Polizeieinsätzen. So verglich ein Twitter-Nutzer über die Antwort-Funktion die Methoden der Polizei mit denen eines Polizeistaats“. Daraufhin wurde dieser wegen eines Verstoßes gegen die sog. „Netiquette“ durch das Social-Media-Team der Hamburger Polizei geblockt“. Eine gesonderte Rechtsgrundlage sei nach Ansicht der Hamburger Polizei dafür nicht erforderlich.

Die Netiquette der Hamburger Polizei enthält unter anderem folgende Regelung:

Rassistische, sexistische, unsachliche, beleidigende oder in ähnlicher Form unangebrachte Kommentare oder Tweets werden jedoch nicht toleriert und ggf. strafrechtlich verfolgt […] Das Team behält sich außerdem vor, Verfasser für die Kommentar-Funktion auf der Facebook-Seite der Polizei Hamburg zu sperren bzw. auf Twitter zu blocken. Eine entsprechende Benachrichtigung über diese Maßnahme erfolgt nur im Einzelfall. Die Entscheidung, ob Kommentare verborgen oder gelöscht bzw. Nutzer gesperrt / geblockt werden, trifft allein das Social Media Team“.

Nutzer*innen zu „blocken“ bedeutet bei Twitter, dass ein Betrachten und Folgen sowie jegliche Interaktion mit dem Twitter-Konto unterbunden wird. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit, einzelne Nutzer*innen zu „muten“, d.h. stumm zu schalten; umgehend werden dann deren Tweets im eigenen Newsstream nicht mehr angezeigt. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, einzelne Nutzer*innen oder Tweets zu melden, sodass diese dann ggf. von Twitter vollständig entfernt werden.

Was bei privaten Nutzerinnen und Nutzern eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich vor allem unliebsame Antworten auf Tweets zu löschen oder die/den Nutzer*in zu blocken, muss bei öffentlichen Trägern mit größter Vorsicht genossen werden: Es sticht sofort ins Auge, dass die Polizei im Umgang mit ihrem Twitter-Account anderen Regeln unterworfen sein muss als Private. So leicht, wie es sich die Verantwortlichen bisher machen, indem sie einfach auf die Einhaltung ihrer Netiquette verweisen, ist es sicher nicht.

Rechtliche Einordnung der Tätigkeit

Das Verhalten muss sich vielmehr in den (verfassungs-)rechtlichen Grenzen hoheitlicher Informations- und Gefahrenabwehrtätigkeit halten. In rechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, ob und wann Twitter-Nutzer*innen geblockt, gemutet oder gelöscht und damit von Informationen oder dem Diskurs, der über die Social-Media-Kanäle staatlicher Stellen geführt wird, ausgesperrt werden können.

Es spricht viel dafür, den Twitter-Kanal einer staatlichen Stelle als eine „öffentliche Einrichtung 2.0“ zu sehen. Wesensmerkmale einer öffentlichen Einrichtung sind, dass sie im öffentlichen Interesse betrieben wird und der allgemeinen Benutzung im Rahmen des Widmungszwecks zugänglich ist. Das ist auch bei einem staatlichen Twitter-Account der Fall. Dieser ist grundsätzlich öffentlich zugänglich. Jeder kann dem Account folgen und darüber mit der Behörde interagieren. Das öffentliche Interesse ist hier vornehmlich die Information der Bevölkerung und die Interaktion mit ihr sowie allgemeine Imagearbeit der Polizei.

Wer ein prinzipielles Zugangsrecht zu einer öffentlichen Einrichtung geschaffen hat, muss sich jedenfalls bei dessen Verwaltung an Art. 3 Abs. 1 GG (i. V. m. Selbstbindung der Verwaltung) messen lassen. Zudem wird bei der Verbreitung von Informationen durch die Polizei auf die staatliche Neutralitätspflicht zu achten sein. Zuletzt spielen das Gebot der Sachlichkeit für die öffentliche Hand sowie die Informations- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG eine tragende Rolle. Verfassungsrechtlich nochmals aufgewertet würde der Sachverhalt, sollte Journalisten der Zugang zu Informationen des Twitter-Accounts verwehrt werden.

Rechtliche Würdigung der polizeilichen Handlungen

Geht man davon aus, dass die Polizei grundsätzlich die Kompetenz hat, einen Twitter-Account zur Erweiterung ihres Informationsangebots zu eröffnen, stellt sich neben der Frage, welche Informationen verbreitet werden dürfen, vor allem das Problem, wann die Polizei eventuell regulierend eingreifen kann oder sogar muss. Die Netiquetten als Quasi-Nutzungsordnung können nur Anhaltspunkt sein und müssen jedenfalls verfassungskonform ausgelegt werden. Dies gilt gerade bei der Frage, was als Kommentar bzw. Antwort noch geduldet werden muss. Bezogen auf das oben genannte Beispiel, muss man sich fragen, ob die Polizei aufgrund ihrer Grundrechtsbindung verpflichtet war, eine solche Antwort zu dulden bzw. ob die Löschung oder das Blocken von Nutzer*innen eine derart grundrechtsrelevante Handlung war, die einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf.

Aufgrund der mit Inbetriebnahme des Accounts begründeten öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft kann die Behörde dort auch ihr virtuelles Hausrecht ausüben, ohne dass es – jedenfalls nach derzeit herrschender Rechtsprechung zum „analogen“ Hausrecht – dafür immer auf eine spezialgesetzliche Grundlage ankäme (vgl. kürzlich etwa VG Augsburg, Beschluss vom 10. Februar 2016 – Au 7 S 16.189 –, Bayern.Recht, Rn. 27). Ob das Hausrecht im Gewohnheitsrecht wurzelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2011 – 7 B 17.11 –, Rn. 12) oder als Annex zur Sachkompetenz zu sehen ist (vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 26. April 1990 – 15 A 460/88 –, NRWE, Rn. 41), bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung. Jedenfalls stellen die §§ 858 ff., 903, 1004 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung grundsätzlich eine hinreichende Rechtsgrundlage zur Ausübung des Hausrechts dar (vgl. VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 4 L 543/11.NW –, Rn. 11). Insoweit ist etwa ein polizeilicher Twitter-Account allgemein zugänglichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen der Polizei in einem öffentlichen Gebäude zumindest ähnlich, sodass auch die dazu entwickelten Grundsätze Anwendung finden dürften.

Natürlich muss die Ausübung des virtuellen Hausrechts verhältnismäßig und auch sonst verfassungsgemäß sein, wobei hier insbesondere die Bedeutung der Meinungs- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in einem demokratischen Staat in der Abwägung berücksichtigt werden muss. Dies gilt gerade bei so kontrovers diskutierten Themen, wie dem polizeilichen Vorgehen beim G20-Gipfel. Ebenso ist dies bei der Aufstellung und Anwendung der „Netiquette“ und sonstiger Benutzungsregeln zu berücksichtigen. Nicht nur vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG erscheint auch die darin lediglich optional vorgesehene Benachrichtigung über eine Blockierung fragwürdig, insbesondere weil es sich dabei – analog zum Hausverbot – um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG handeln dürfte. Dieser ist dem/der Nutzer*in grundsätzlich auch individuell – ggf. in elektronischer Form – bekanntzugeben (§ 41 Abs. 1 VwVfG); ob der standardisierte Twitter-Hinweis bei Besuch des Polizei-Accounts ausreicht, ist fraglich. Jedenfalls bestehen erhebliche Bedenken, ob eine solche elektronische Mitteilung den Formerfordernissen der §§ 37, 39 VwVfG genügt.

Im Ergebnis wird man wohl dazu kommen, dass insbesondere offensichtlich strafrechtlich relevante Äußerungen gelöscht und Nutzer*innen jedenfalls bei wiederholten (erheblichen) Verstößen geblockt werden dürfen. Bei Meinungsäußerungen, die diese Schwelle nicht überschreiten ist im Zweifel der Meinungsäußerungsfreiheit der Vorzug zu gewähren. Vor allem solange eine Äußerung nicht als Schmähkritik oder Formalbeleidigung eingestuft werden kann, ist sie grundsätzlich noch zu dulden. Das dürfte wohl auch bei der oben genannten Äußerung („Polizeistaat“) der Fall gewesen sein. Es mag zwar eine scharfe Kritik gewesen sein, die aber nicht jeder sachlichen Grundlage entbehrt haben dürfte (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 2016 – 1 BvR 257/14 u.a. –). Da das „Blocken“ – ähnlich wie ein Hausverbot – vornehmlich präventiven Zwecken dient, setzt eine solche Maßnahme zudem voraus, dass sie zur Abwehr künftiger Verstöße gegen die „Netiquette“ oder sonstige Vorschriften erforderlich ist (vgl. VG Augsburg, a.a.O.). Fraglich ist allerdings, inwieweit verbleibende Informationsmöglichkeiten für geblockte Nutzer*innen bei der Abwägung berücksichtigt werden können. Letztlich darf das „Blocken“ als intensivste Maßnahme – wenn überhaupt – nur die Ultima Ratio behördlicher Reaktion darstellen.

Auch die Polizei muss, wie alle staatlichen Stellen, mit der Zeit gehen. Es muss ihr möglich sein, die neuen Medien und darunter vor allem soziale Netzwerke zu nutzen. Für die Nutzung von Twitter muss konstatiert werden, dass der dabei oftmals bestehende rechtliche Graubereich durch bekannte Rechtsfiguren hinreichend ausgeleuchtet werden kann. Bei grundrechtssensibler Nutzung steht dem polizeilichen Zwitschern daher dem Grunde nach nichts im Wege.

 

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Ansicht der Verfasser wieder.

Veröffentlicht unter CC BY NC ND 4.0.

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