Grippemärchen statt Krippenspiel: Ist der Weihnachtsmann ein Impfverweigerer?

von ANDREAS ZÖLLNER und HENDRIK SCHWAGER

Wer in diesen Tagen Besuch vom Weihnachtsmann erhält, sollte dessen Impfausweis besser genau so sorgfältig und doppelt prüfen, wie es der dickbäuchige Gabenbringer selbst mit seiner Artig-und-Unartig-Liste zu tun pflegt. Denn es besteht die berechtigte Sorge, dass ansonsten nicht nur die Rentiernase, sondern bald auch der Coronatest rot aufblinkt. Bereits im letzten Jahr drohte der vollbärtige Vagabund den Heiligen Abend zum Superspreading-Event zu machen, indem er das Virus von Tür zu Tür trägt. Dieses Jahr steht die Welt dank Impfstoff deutlich besser da. Und selbstverständlich hat sich auch der vorbildliche Friedensfürst das Vakzin verabreichen lassen – oder?

Querdenker aus nördlichen Breitengraden?

„Kein Zweifel“, möchte man meinen – schließlich hat der dicke Gabenbringer schon so manche Impfkampagne unterstützt. Erst vor wenigen Tagen hat er für einen Clip des Bundesgesundheitsministeriums seinen pelzverbrämten roten Mantel ausgezogen und die Ärmel hochgekrempelt, um für die Booster-Impfung zu werben.

Wer bei dem Spot jedoch genau hingehört hat, wird den Verdacht nicht los, dass die Impfbereitschaft des Weihnachtsmannes nur ein Lippenbekenntnis ist. „Ich gloob ja nich so an die Wissenschaft“, poltert er gleich zu Beginn freimütig los. Und in der Tat: Vieles spricht dafür, dass ausgerechnet der regelverliebte Rauschebart zu der kleinen Gruppe der Impfgegner gehört. Bereits im vergangenen Jahr machten widersprüchliche und obskure Corona-Nachrichten vom Nordpol die Runde: Von einer natürlichen Immunität des Weihnachtsmannes war zunächst gar die Rede, was der ein oder anderen Querdenker-These verdächtig ähnelt.

Ein scheinheiliger Heiliger?

Dann aber plötzlich wollte ein amerikanischer Gesundheitsexperte, damals noch Berater von Präsident Donald Trump, den Weihnachtsmann persönlich geimpft haben – obschon es zu der Zeit bekanntermaßen noch gar keinen zugelassenen Impfstoff gab.

Es verdichten sich die Hinweise, dass der ansonsten so autoritär anmutende Allheilsbringer aus der Arktis zu den schwarzen Schafen gehört, die den kleinen Piks mit großer Wirkung zwar ablehnen, aber dennoch in den Genuss der Freiheiten von Geimpften und Genesenen geraten wollen. Er wäre gewiss nicht der erste Prominente aus dem Norden, der in den Verdacht gerät, sich mittels gefälschter Impfpässe und -zertifikate Zugang zu Clubs, Bars und Restaurants erschlichen zu haben.

Vom Staat nur die Finanzspritze

Sein Motiv, sich gleichwohl als Zugpferd der Boosterkampagne inszenieren zu lassen, scheint klar – der weise Mann wird seinen guten Ruf als moralische Instanz nicht dadurch aufs Spiel setzen wollen, dass er sich öffentlich als Impfgegner outet. Hinzukommen dürften nicht unerhebliche Einnahmeausfälle in der Vorweihnachtszeit: Die vielerorts kurzfristig abgesagten Weihnachtsmärkte zwangen den Weihnachtsmann, zu Hause zu bleiben. Ein herber Schlag ins Kontor für den schwergewichtigen Saisonarbeiter! Da kommen Papa Noël ein paar Euro Werbegage von Vater Staat gerade recht – denn bei aller Großzügigkeit des polaren Präsentelieferanten darf doch nicht vergessen werden, dass die weltweite Bescherung zum Weihnachtsfest auch irgendwie finanziert werden muss.

Erst den Test, den schnellen, danach Glöckchenschellen

Damit in diesem Jahr auch weiter nur den Unartigen die Rute und nicht uns allen die Corona-Peitsche droht, haben die Heiligen Drei Koalitionäre gemeinsam mit den 16 Landesfürsten Maßnahmen zur Eindämmung getroffen. Doch was gilt für den Protagonisten des Heiligen Abends – bleiben einem ungeimpften Weihnachtsmann abermals die Türen zu den festlichen Weihnachtsstuben verschlossen?

Das freundliche Antlitz des Weihnachtsmannes wird unausweichlich auch an diesem Heiligabend nicht nur von dichtem polarweißem Barthaar, sondern gleichermaßen von einer Maske verdeckt sein. Der nahe Kontakt zu seinen kleinen Kunden macht das notwendig. Hinzu kommt in vielen Bundesländern eine Testpflicht: In Berlin oder Baden-Württemberg etwa müssen auch nicht-immunisierte Solo-Selbstständige wie der dickbäuchige Geschenkespediteur arbeitstäglich Testungen durchführen und dokumentieren. Ob in Spandau oder Stuttgart: Die erste Station des weihnachtlichen Bescherungsmarathons wird in diesem Jahr also eine Teststation sein, wo auf den Schlund des Gabenbringers, statt einer Zuckerstange, zunächst ein Teststäbchen wartet.

Doch selbst mit einem frischen Negativtest im Sack wird es für den Weihnachtsmann bundesweit eng unterm Baum. Denn für Personen, die nicht genesen sind und auch den kurzen Piks bislang nur beim Schmücken des stacheligen Tannenbaums erfahren haben, gelten in der gesamten Republik massive Einschränkungen – auch im weihnachtlichen Wohnzimmer! In Bayern dürfen sich seit dem 20. Dezember Haushalte, in denen eine ungeimpfte oder nicht genesene Person lebt, nur noch mit zwei weiteren Personen eines anderen Haushalts treffen. Der Lausbub Linus und die zierliche Zoé zählen dabei zwar nicht mit, solange sie noch nicht zwölf Jahre und drei Monate (!) alt sind. Selbst in einem vollständig geimpften bayrischen Haushalt benötigt der antikörperfreie Arktisbewohner demnach nur zwei Erwachsenen-Geschenke im Beidl.

Fest genommen da festgenommen?

Die bayrische Strenge weiß man im Norden der Republik noch zu überbieten: zum Beispiel in Niedersachsen. Für Zusammenkünfte mit mehr als zehn Personen gilt zwischen Emden und Goslar an Weihnachten 2G-Plus. Auch der Hamburger Senat möchte dem Weihnachtsmann nur Zutritt in die Festtagsstuben gewähren, wenn er neben den Geschenken im Sack auch die Impfung im Arm hat. Zudem gilt in der Hansestadt ab dem 24. Dezember ein Tanzverbot – allerdings wohl nicht in privaten Wohnräumen. Konsequenzen stehen demnach auch dann nicht zu befürchten, wenn der Weihnachtsmann die Füße nicht stillhalten kann, sobald der kleine Joshua beginnt, „Oh du Fröhliche“ auf seiner Blockflöte zu trällern. Das Hamburger Rathaus zieht damit als erstes Bundesland kurz vor den Feiertagen noch einmal die Corona-Zügel an. Noch bis Anfang der Woche war angedacht, private Treffen auch mit mehr als zehn Personen unter den strengen Vorgaben des § 9 der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO zuzulassen: Der gäbe neben einer Maskenpflicht und dem obligatorischen 2G-Zugangsmodell auf, die Kontaktdaten aller Teilnehmer zu erfassen. Doch anscheinend hat der für sein knallhartes Durchgreifen bekannte Hamburger Sicherheitsapparat erkannt, dass dem widerspenstigen Wichtelschinder damit nicht Einhalt zu gebieten ist. Denn dass der Geduldsfaden des rentierreitenden Rotkittels aus Rovaniemi spätestens bei der Kontaktverfolgung zu reißen droht, zeigt ein Vorfall aus der vergangenen Woche: Wie die Polizei mitteilte und Videoaufnahmen aus sozialen Netzwerken belegen, wurde der angeblich so liebe Gute auf einer nicht angemeldeten Corona-Demonstration in Stralsund festgenommen, weil er seine Namensangabe verweigert hat. Er musste deshalb zur Identitätsfeststellung abgeführt werden. „Auch die Polizei war überrascht, dass der Weihnachtsmann sich nicht an Recht und Gesetz hält“, erklärten die Ermittlungsbeamten. Dass der offenbar querdenkende Schlittenkutscher dabei ein Schild mit den Worten „2G – ohne mich“ um den Hals getragen haben soll, dürfte die Hoffnung auf eine reibungslose Bescherung auch in anderen Bundesländern nicht unbedingt steigern.

Freistaat ohne Jahresendmann?

Besonders schwer könnte es der Weihnachtsmann dieser Tage in Sachsen haben. Im Heimatland von Weihnachtspyramide und Schwibbogen, in dem zuletzt nicht nur Adventskerzen loderten, sind Zusammenkünfte, bei denen mindestens eine ungeimpfte Person dabei ist, nur zwischen einem Hausstand und einer weiteren Person zulässig. Der Weg zu vielen sächsischen Weihnachtsstuben wird dem rüstigen Rutenträger deshalb in diesem Jahr verwehrt bleiben. Denn sobald sich unter Mutter, Vater, Oma oder Opa ein Impfmuffel befindet, ist für den großzügigen Gabenbringer in keinem Fall mehr Platz unter der Tanne. In Anbetracht dessen, dass noch immer deutlich mehr als ein Drittel aller Sachsen ungeimpft ist, wird dieses Schicksal wohl einige Familien zwischen Oberlausitz und Vogtland treffen. Das Hofhalten im Freistaat wird deshalb in diesem Jahr vermutlich ein kurzes Vergnügen. Doch stellt sich ohnehin die Frage, ob der lappländische Lebkuchenliebhaber in den Hardliner-Haushalten von Querdenkern und Impfgegnern überhaupt noch erwünscht ist. Denn wer sich wie der mainstreamkompatible Mantelträger – aller Ideologie zum Trotze – plötzlich als Sprachrohr der Impfpropaganda instrumentalisieren lässt, wird gewiss den ein oder anderen „besorgten Bürger“ gegen sich auf- und die Telegram-Server zum adventlichen Glühen gebracht haben.

Kein Heilender, nur Heiliger

Wie schon im letzten Jahr muss der Weihnachtsmann also einige Hürden nehmen, wenn er am Heiligen Abend landesweit die Haushalte abklappert. Damit dürfte der impertinente Impfmuffel aber gut bedient sein, wird er doch insoweit von Gesetzes wegen nur in seiner Berufsausübung beschränkt – die Entscheidung, sich impfen zu lassen, wird dagegen vom deutschen Staat noch nicht unmittelbar vorgegeben. Zwar haben Bundestag und Bundesrat kürzlich eine sektorale Impfpflicht für die Heil- und Pflegebranche in Gesetz gegossen, die bereits jetzt gilt. Doch einen Heilberuf übt der wuchtige Weißbart nicht aus, auch wenn sein Besuch gewiss in erheblichem Maß die psychische Konstitution seiner kleinen Fans stärkt.

Trotzdem sollte sich das rotbepelzte Raubein hüten, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auf die leichte Schulter zu nehmen: Nach § 20a Abs. 1 IfSG erfasst sie jeden, der in einer der aufgezählten Einrichtungen „tätig wird“, also etwa auch „Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal“, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. Die Bescherung auf der Kinderstation des Krankenhauses dürfte damit dem § 20a Abs. 1 Nr. 1 a) IfSG unterfallen, wenn sich das schnaufende Schwergewicht nicht sehr beeilt, um gerade noch der Ausnahme für „nur zeitlich ganz vorübergehend […] tätige Personen“ zu unterfallen. Falls das Gesundheitsamt kontrolliert, sollte sich der Weihnachtsmann jedoch nicht darauf verlassen, dass Lauterbachs Hirten seine großzügige Auslegung teilen.

Trotz allem wird Santa Claus dieses Jahr ungeschoren davonkommen, denn Stichtag zur Vorlage des Impfnachweises ist erst der 15. März 2022 (§ 20a Abs. 2 IfSG) – da hat er seine Saisontätigkeit längst wieder eingestellt und kuriert am Polarkreis seinen „Schnupfen“ aus.

Weihnachten 2022: Wiener Impfpflicht statt Wiener Würstchen?

Doch was ist mit der allgemeinen Impfpflicht, die hierzulande schon in den Startlöchern steht, wie Neukanzler Scholz zu berichten weiß – könnte sie dem zottelbärtigen Querulanten noch gefährlich werden? Fürs Erste scheint das weihnachtliche Rentiergespann auch hieran gerade so vorbeigeschlittert zu sein. Doch im nächsten Jahr sollte der Weihnachtsmann auf alles gefasst sein. Sofern der deutsche Gesetzgeber sein alpines Nachbarland zum legislatorischen Vorbild nimmt, käme dem rotbepelzten Raubein allerdings sein Wohnsitz im finnischen Rovaniemi zugute: Zumindest die österreichische Impfpflicht soll ausschließlich für Personen gelten, die dort gemeldet sind (§ 1 Abs. 1 COVID-19-IG-MinE). Dementsprechend wäre dem zipfelmützigen Zweifler also nur beizukommen, wenn sein Heimatland Finnland ihn zum Ärmelhochkrempeln verpflichtet – was sich momentan nicht abzeichnet.

O Omikron!

Es bleibt ein ungutes Gefühl: Der Weihnachtsmann fliegt von Haushalt zu Haushalt – statt mit Impfstoff im Arm allenfalls mit einem Rentier-Entwurmungsmittel im Blut – und kann dabei von Recht und Gesetz kaum aufgehalten werden. Man kann nur hoffen, dass er zumindest so viel Anstand besitzt, sich vor dem Abflug einem ordentlichen PCR-Test zu unterziehen. Womöglich hat gar der jüngst zugelassene Totimpfstoff den schwergewichtigen Schwurbler gerade noch rechtzeitig zum Umdenken bewogen. Wenn er als Lichtgestalt der Liebe und Hoffnung statt der Omikron-Welle in diesem Jahr eine Woge der Besinnlichkeit und Besinnung auslöst, wäre das für viele Menschen gewiss das schönste Weihnachtsgeschenk.

Andreas Zöllner und Hendrik Schwager forschen bereits seit Jahren zu Rechtsfragen rund um die Tätigkeit des Weihnachtsmannes.

 

Zitiervorschlag: Andreas Zöllner und Hendrik Schwager, Grippemärchen statt Krippenspiel: Ist der Weihnachtsmann ein Impfverweigerer?, JuWissBlog Nr. 119/2021 v. 24.12.2021, https://www.juwiss.de/119-2021/.

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