von HENNING SCHAAF
Mal zu zehnt, mal zu fünft aus zwei Haushalten, mal nur ein Haushalt und ein Gast: Die Rede ist von Kontaktbeschränkungen in Corona-Verordnungen. Einen Teil der Beschränkungen hat das OVG Lüneburg in einem Beschluss vom 19. März 2021 verworfen – andere Gerichte haben eine inhaltsgleiche Regelung jüngst gehalten. Weshalb der Lüneburger Beschluss richtig ist, was er bewirkt und wie sich der neue § 28b IfSG einfügt, möchte dieser Beitrag beleuchten – und dabei zugleich klären, was ein „Paar“ ist.
Das OVG Lüneburg hat § 2 Abs. 1 S. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 12. März 2021 („Nds. Corona-VO“) teilweise für unwirksam erklärt. Die Norm sah vor – wie von den MinisterpräsidentInnen und der Bundesregierung beschlossen (S. 6) –, dass sich bei einer 7-Tage-Inzidenz von nicht mehr als 100 grundsätzlich zwei Haushalte, maximal aber fünf Personen treffen dürfen. Kinder bis einschließlich 14 Jahren waren nicht einzuberechnen. Lag die 7-Tage-Inzidenz drei aufeinanderfolgende Tage über dem Wert von 100 (sog. Hochinzidenzkommune), sah § 18a Abs. 3 Nr. 1 Nds. Corona-VO bis zur bundeseinheitlichen Regelung in § 28b IfSG vor, dass die alte Fassung des § 2 Abs. 1 Nds. Corona-VO anzuwenden war. Danach durfte sich ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, ohne dass die Zahl der Personen beschränkt war.
Große Haushalte mit (fast) Erwachsenen benachteiligt
Gegen § 2 Abs. 1 S. 1 Nds. Corona-VO in der Fassung vom 12. März 2021 hatte ein Familienvater ein Normenkontroll-eilverfahren eingeleitet. Dieser lebte mit seiner Ehefrau und seinen drei über 14 Jahre alten Kindern in einem Haushalt. Bei einer 7-Tage-Inzidenz von unter 100 durfte die Familie nach § 18a Abs. 3 Nr. 1 Nds. Corona-VO keinen Besuch empfangen, wenn sich die ganze Familie im Haus befand; bei einem Wert von über 100 hingegen schon.
Das Gericht sah es vor diesem Hintergrund als widersprüchlich und unangemessen an, dass in Kommunen mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 Kontakte unabhängig von der Personenzahl möglich waren. Deshalb hat das OVG Lüneburg die Verordnung in Niedersachsen insoweit für unwirksam erklärt, als dass sie bei einer 7-Tage-Inzidenz nicht höher als 100 private Treffen auf maximal fünf Personen aus zwei Haushalten beschränkte (Rn. 75).
Und die Entscheidung leuchtet ein: Es ist nicht ersichtlich, weshalb das Recht zu privaten Treffen weiter reichen soll, wenn das Infektionsgeschehen dynamischer ist. Die MinisterpräsidentInnenkonferenz und mit ihr die Verordnungsgeber mögen zwar von dem Fall ausgegangen sein, dass weniger als fünf (fast) erwachsene Personen in einem Haushalt leben. § 2 Abs. 1 S. 1 Nds. Corona-VO ist jedoch so abstrakt gefasst, dass die Norm auch große Haushalte umfasst.
Der Verordnungsgeber hat erst verhältnismäßig spät auf die Rechtsprechung reagiert (S. 9): Seit dem 29. März 2021 sind bei einer 7-Tage-Inzidenz, die den Wert 100 nicht überschreitet, private Treffen eines Haushalts mit zwei weiteren Personen eines anderen Haushalts ohne maximale Personenanzahl gestattet.
„Guten Freunden gibt man ein Küsschen“
Ein zweiter Punkt der Corona-Verordnung verdient Beachtung, auf den das Gericht nicht eingehen musste: Getrennt wohnende Paare gelten – auch nach derzeitiger Regelung – als ein Haushalt (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nds. Corona-VO). Auch diese Regelung ist auf die MinisterpräsidentInnenkonferenz zurückzuführen (ebenfalls Seite 6) und nicht weniger problematisch:
Denn was ist unter einem „Paar“ zu verstehen? Während die Ehe vom Standesbeamten geschlossen wird (§ 1310 BGB), setzt die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Regel voraus, dass die PartnerInnen zusammen leben. Auf dieses Kriterium kommt es bei einem „Paar“ nicht an. Der Begriff „Paar“ gibt nur vor, dass es sich um zwei Personen handeln muss. Deshalb ist nicht nachprüfbar, wer ein Paar ist. Regelungen, die nicht nachprüfbar und deshalb nicht durchsetzbar sind, fehlt die rechtliche Geeignetheit (Rn. 52).
Auch tatsächlich sind die Auswirkungen gravierend: Wegen fehlender Beweisschwierigkeiten können vier Singles aus vier Haushalten schnell zu zwei Paaren aus zwei gesetzlich fingierten Haushalten werden. Statt einer Ordnungswidrigkeit ist dieses Treffen bei einer 7-Tage-Inzidenz kleiner bzw. gleich 100 erlaubt. Durch den Beschluss des OVG ließ sich diese Rechnung bis zur Neuregelung ad absurdum steigern: Stellen wir uns eine 5er-WG vor, deren BewohnerInnen jeweils einen Partner bzw. eine Partnerin haben, der bzw. die nicht in der WG wohnt. Wenn sich alle MitbewohnerInnen mit den jeweiligen PartnerInnen in der WG treffen, kommen nach der gesetzlichen Fiktion zehn Personen aus einem Haushalt zusammen. Tatsächlich handelt es sich um bis zu sechs verschiedene Haushalte. Da diese zehn Personen als ein Haushalt gelten, können sie von den BewohnerInnen einer anderen 5er-WG besucht werden, die ebenfalls eine/-n PartnerIn haben, die allesamt ebenfalls in fünf unterschiedlichen Haushalten leben. In diesem Fall treffen sich auf legale Weise zwanzig Personen aus bis zu zwölf Haushalten. Je nach Größe der WGen lässt sich diese Rechnung weitertreiben.
Die Regelung war gut gemeint: Getrenntlebenden Paaren sollte es erlaubt sein, sich zumindest mit einem anderen Paar zu treffen, wobei ursprünglich das Treffen auf fünf Personen beschränkt war. Da diese Beschränkung weggefallen ist, mutierte die gut gemeinte Regelung aber zum unkontrollierbaren „Monster“. Das hat der Verordnungsgeber gesehen und ist fast zu der Regelung zurückgekehrt, die vor Weihnachten bestand (s.o.).
Noch gilt: andere Länder, andere Kontaktbeschränkungen
Der Beschluss des OVG erging auf Basis eines Normenkontroll-eilverfahrens gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO, in Niedersachsen eröffnet gem. § 75 NJG. Der Beschluss wirkt nach Abs. 5 S. 2 des § 47 VwGO zwar gegenüber allen, jedoch naturgemäß nicht über die Landesgrenzen hinaus. Ein Blick auf einige Nachbarländer zeigt, dass die Begrenzung auf fünf Personen und zwei Haushalte noch intakt ist: in Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1b Coronaschutzverordnung), ebenso in Bremen (§ 2 Abs. 1 S. 1 Coronaverordnung) und Schleswig-Holstein (§ 2 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung).
Nach der Neuregelung in § 28b Abs. 1 Nr. 1 IfSG bleiben die Kontaktbeschränkungen in Hochinzidenzkommunen gleich: Private Kontakte eines Haushalts mit einer weiteren Person sind unabhängig von der Größe des Haushalts erlaubt. Diese bundeseinheitliche Regelung zwingt dazu – der hier vertretenen Ansicht folgend –, bei einer 7-Tage-Inzidenz von nicht mehr als 100 die Verordnungen in den Ländern anzupassen, die strengere Regelungen zur Kontaktbeschränkung vorsehen. Eine Kontaktbeschränkung, die über die Beschränkung in Hochinzidenzkommunen hinausgeht, ist unangemessen. Hessen ist diesen Schritt bereits gegangen (§ 1 Abs. 1 S. 1 Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung alt und neu).
Für getrenntlebende Paare enthält § 28b IfSG keine Regel. Sie werden in Hochinzidenzkommunen als zwei Haushalte gelten, bei einem Inzidenzwert unter bzw. gleich 100 bei ausdrücklicher Regelung in einer Landesverordnung jedoch als ein Haushalt – mit kuriosen Folgen in diesen Ländern: Hat jene 5er-WG zwei der PartnerInnen aus unterschiedlichen Haushalten zu Gast, ist dieses Treffen bis 23:59 Uhr am Tag, bevor die „Notbremse“ in Kraft tritt, rechtmäßig. Mit dem Glockenschlag jedoch handelt es sich nicht mehr um einen fingierten Haushalt, sondern um ein verbotenes Treffen von drei Haushalten. Nach Hause zu gehen, ist für die PartnerInnen dann aber auch keine Option, denn die viel diskutierte „Ausgangssperre“ des § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG ist in Kraft. Das Dilemma am Abend vor dem „Ziehen der Notbremse“ zeigt sich: Wer zu spät geht, bestraft das Ordnungsamt.
Zitiervorschlag: Henning Schaaf, Private Kontaktbeschränkungen auf dem Prüfstand, JuWissBlog Nr. 37/2021 v. 28.04.2021, https://www.juwiss.de/37-2021/.
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den tollen Beitrag!!! Sehe es ganz ähnlich wie Sie!
Toller Beitrag, hat mir einiges klarer gemacht!
Das Beispiel zu den Paaren veranschaulicht sehr schön, welche Flexibilität eigentlich in den Begrifflichkeiten der Verordnungen steckt. An dieser Stelle trägt das sicher mangels wirksamer Konkretisierungen nicht zur Einsichtigkeit der Regelungskomplexe bei.
Ein gelungener Beitrag!