von NIK ROEINGH
Mehr als zehn Jahre ist es nun her, dass das Bundesverwaltungsgericht die presserechtliche Auskunftspraxis gänzlich neu geordnet hat. Anfang 2013 hatte es festgestellt, dass Presseorgane ihre Auskunftsansprüche gegenüber Bundesbehörden nicht mehr auf die Pressegesetze der Länder stützen können. Dem stehe die föderale Kompetenzverteilung entgegen. Dem Bund stehe es jedoch jederzeit frei, ein Pressegesetz für seine Behörden zu schaffen. Bis dahin hatten Medienvertreter ihre Ansprüche meist auf das Pressegesetz des Landes gestützt, in dem die jeweilige Behörde ihren Sitz hatte. Seither können sie sich nur noch unmittelbar auf die „Notlösung“ aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen.
Pressefreiheitliche Herausforderungen
Diese Ausgangslage ist bis heute unverändert. Die Presse kann auf Bundesebene nach wie vor nicht auf ein eigenes Gesetz zurückgreifen, wenn sie Auskunftsansprüche geltend macht. Ihr bleibt lediglich der grundrechtliche Mindeststandard. Nichts hält eben länger als ein Provisorium. Angesichts der realpolitischen Entwicklungen innerhalb der letzten Dekade ein unbefriedigendes Ergebnis. In ganz Europa ist eine massive Umgestaltung der Parteienlandschaft und der politischen Verhältnisse zu beobachten, die sich insbesondere im Erstarken rechtspopulistischer und -extremer Kräfte widerspiegelt, die ein offensiv kritisches Verhältnis zur freien Presse prägt. Auch in Deutschland erzielt Rechtsaußen Rekordergebnisse bei Wahlen auf EU-, Bundes- und Landesebene wie auch auf kommunaler Ebene. Dass sich dieser Trend in Zukunft abschwächt, ist nicht absehbar. Der Gesetzgeber sollte eigentlich alarmiert sein, kann man in anderen Staaten doch die Aushöhlung der freien Presse durch antidemokratische Kräfte beobachten. Im illiberalen Regierungssystem Viktor Orbáns in Ungarn ist etwa zu verfolgen, wie den wenigen verbliebenen unabhängigen Pressevertretern seit Jahren systematisch der Zugang zu zentralen Regierungs- und Behördeninformationen verwehrt wird. Wo autoritär-populistische Parteien staatliche Macht in die Hand bekommen, ist der Ausschluss der freien Presse ein Schlüsselinstrument, um die neu hinzugewonnene Macht zu erhalten.
Während in Deutschland derzeit breit diskutiert wird, wie die Unabhängigkeit der Justiz – insbesondere des Bundesverfassungsgerichts – gegen rechtsstaatlich problematische Entwicklungen gestärkt werden kann, ist es um die Presse bisher erstaunlich ruhig geblieben. Und dies, obwohl der „vierten Gewalt“ eine fundamentale rechtsstaatliche Kontrollaufgabe zukommt. Treffend ist die metaphorische Umschreibung der Presse durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als „public watchdog“. Durch ihre Mittlerfunktion zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern trägt sie wesentlich dazu bei, dass sich eine qualifizierte öffentliche Meinung bilden kann und Kritik an staatlichen Entscheidungen möglich wird. Die notwendige Vorbedingung ist allerdings, dass Pressevertreter überhaupt Zugriff auf die relevanten staatlichen Informationen bekommen. Ein elementarer Baustein, um dies auch in Zukunft zu gewährleisten, ist ein Pressegesetz auf Bundesebene, das diesen Anspruch gegenüber dem Bund garantiert. Übergeordnetes Ziel muss es sein, Transparenz zu schaffen und eine gesetzlich gesteuerte presserechtliche Auskunftspraxis zu etablieren, die vorausschauend über die durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG garantierten Mindeststandards hinausgeht.
Mehrere Versuche, im Bundestag ein Pressegesetz zu verabschieden, das auch Bundesbehörden adressiert, sind aber seit 2013 gescheitert. Der Entwurf der SPD unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hatte keinen Erfolg. Auch Bündnis 90/Die Grünen und die FDP hatten in ihrer Zeit als Oppositionsparteien entsprechende Entwürfe ausgearbeitet. Diese blieben letztlich auf halber Strecke liegen.
Mit dem Koalitionsvertrag 2021 ist jedoch Bewegung in das Vorhaben gekommen. In Abschnitt VI. („Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“) enthält er das Versprechen, eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse zu schaffen. Damit ist es auch nach Ansicht der aktuellen Bundesregierung ein zentrales demokratiesicherndes Vorhaben. Doch der Bewegung folgt der Stillstand, wie sich auch jetzt wieder in der Medienpolitik der Ampel zeigt. Abstimmungsschwierigkeiten über die Zuständigkeit blockieren das Vorhaben.
Dringender Bedarf nach gesetzgeberischer Feinjustierung
Dabei bedarf es dieses Gesetzes nicht nur, um der Presse auch in Zukunft die notwendige Arbeitsgrundlage in Gestalt staatlicher Informationen zu sichern. Bereits in der Vergangenheit und auch aktuell zeigen sich einmal mehr die Unzulänglichkeiten des grundgesetzlichen Mindeststandards aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Als grundrechtliches Optimierungsgebot gewährt die Norm eben nur das Nötigste. Die notwendige Feinjustierung in zahlreichen presserechtlichen Fragen obliegt jedoch dem Gesetzgeber. Hervorzuheben ist insbesondere die immer wiederkehrende Problematik, wer bei presserechtlichen Auskunftsansprüchen eigentlich anspruchsberechtigt und -verpflichtet ist. Obwohl heute wohl niemand mehr ernsthaft die Presseeigenschaft von Medienvertretern, die ausschließlich online publizieren, bezweifeln würde, haben sich Behörden in der Vergangenheit schon häufiger auf ein Urteil des VG Berlin berufen, das dies in Frage stellt. Die Pressefreiheit setze demnach die „Publikation eines Druckerzeugnisses“ voraus. In einer Zeit, in der die Printauflagen seit Jahren stark rückläufig sind, journalistische Arbeit vor allem und zu einem guten Teil ausschließlich digital verbreitet wird und sich neue Formen des Online-Journalismus etabliert haben, mutet dies anachronistisch an. FragDenStaat, seinerzeit Antragsteller im entsprechenden Verfahren, bewegte dies zur Flucht nach vorn. Der Blog wurde kurzerhand einmalig auch als Druckerzeugnis herausgegeben. Damit solche Guerilla-Aktionen in Zukunft nicht mehr notwendig sind, wenn etablierte journalistische Online-Medien Pressearbeit betreiben, bedarf die Frage der Anspruchsberechtigung bei Auskünften gegenüber Behörden dringend einer klarstellenden Entscheidung des Gesetzgebers.
Doch nicht nur die Frage, wer überhaupt Ansprüche geltend machen kann, ist heikel. Auch die Frage der Passivlegitimation, also wen die Presse zur Auskunft verpflichten kann, bedarf immer wieder gerichtlicher Klärung. Während bspw. der Bundesnachrichtendienst noch im Jahr 2018 meinte, vom verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch der Presse befreit zu sein, hat das Bundesverwaltungsgericht diese Frage anschließend im Sinne der Pressefreiheit geklärt.
Nicht immer fallen die Entscheidungen jedoch zugunsten der Presse aus. Im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung (z. B. bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) hat das Bundesverwaltungsgericht einen Anspruch mangels externen Kontrollbedarfs verneint. Dass dieser jedoch besteht, zeigen die zahlreichen Skandale der letzten Jahre – erinnert sei hier an die Causa Schlesinger. Auch bei Verfassungsorganen verneinten die Gerichte teilweise schon einen Anspruch. Zuletzt hat das OVG Berlin-Brandenburg im April dieses Jahres in zweiter Instanz bestätigt, dass der Bundespräsident in Gnadensachen nicht unter den funktionalen Behördenbegriff des Presserechts fällt. Damit etabliert das Gericht einen pressefreien Raum in Bereichen wie Staatsschutzdelikten oder solchen des Völkerstrafrechts, die eigentlich von hohem öffentlichem Interesse sind. Eine gesetzliche Regelung kann in beiden Fällen korrigierend eingreifen.
Darüber hinaus müsste ein entsprechendes Gesetz dem bundesverwaltungsgerichtlich ausgesprochenen Auftrag nachkommen, „die Rechtsordnung in einer Weise zu gestalten, die der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Presse gerecht wird und ihr eine funktionsgemäße Betätigung ermöglicht“. Vor diesem Hintergrund ist die wohl sensibelste Frage, welche Auskunftsrestriktionen bestehen. Hier ist ein behutsames Vorgehen des Gesetzgebers von Nöten. Geheimhaltungsinteressen, die sich aus Persönlichkeitsrechten und anderen grundrechtlich geschützten Interessen (z. B. Geschäftsgeheimnissen) ergeben, können bspw. stärker gewichtet werden als öffentliche Interessen.
Fazit und Ausblick
Eines zeigt sich in jedem Fall: Der Bundesgesetzgeber muss endlich tätig werden. Zuständigkeitsfragen innerhalb der Bundesregierung sind jedenfalls die schlechteste Ausrede, noch nicht gehandelt zu haben. Schon heute braucht es dieses Gesetz. Denn „die Macht des Journalisten beruht nicht auf seinem Recht, Fragen zu stellen, sondern auf seinem Recht, eine Antwort zu verlangen“ (Milan Kundera). Damit Journalistinnen und Journalisten in Zukunft häufiger Antworten erhalten, um ihren Auftrag effektiv und funktionsgerecht erfüllen zu können, bedarf es daher eines progressiv ausgestalteten rechtlichen Fundaments, dessen Erarbeitung nun endlich auf die medienpolitische Tagesordnung gehört. Begleitet werden muss dieser Prozess von einer breiten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion über die Kernfragen, wer anspruchsberechtigt und -verpflichtet ist und welche Interessen in einem transparenten und modernen Rechtsstaat staatlichen Auskünften tatsächlich entgegenstehen. Dazu kann auch eine Debatte in diesem Blog beitragen.
Zitiervorschlag: Roeingh, Nik, Das Recht auf eine Antwort – Wenn der Bund die Pressefreiheit torpediert, JuWissBlog Nr. 45/2024 v. 18.07.2024, https://www.juwiss.de/45-2024/.
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