von TJORBEN STUDT
Der U.S. Supreme Court hat mit der Entscheidung in der Sache Trump vs. United States eine präsidiale Immunität vor Strafverfolgung für offizielle Amtshandlungen erschaffen. Damit hat das oberste amerikanische Gerichte am Stuhl der Demokratie zu sägen begonnen. Ein Präsident, der willens ist, muss sich bei seiner (Wieder-)Wahl nur auf diesen setzen, um die Demokratie vollständig unter sich begraben zu können.
Der U.S. Supreme Court bereitet mit dieser Entscheidung nicht nur den derzeitig gegen Trump laufenden Strafverfahren erhebliche Schwierigkeiten, sondern gefährdet die Demokratie auch darüber hinaus nachhaltig – angesichts der umfassenden und nun auch entgrenzten Machtbefugnisse des Präsidenten. Während zuvor die Gefahr vor Strafverfolgung auch den Präsidenten dazu angehalten hatte, sich bei seiner Amtsausübung an Recht und Gesetz sowie an die Verfassung zu halten, so ist dieser Grundvoraussetzung für den Erhalt der Demokratie nun der Todesstoß versetzt worden.
Alle Handlungen des Präsidenten sind offiziell?
Der Supreme Court gesteht dem Präsidenten für seine offiziellen Amtshandlungen Immunität vor Strafverfolgung zu. Diesbezüglich differenziert das Gericht noch zwischen Handlungen im Rahmen verfassungsrechtlicher Kernkompetenzen, für die eine absolute Immunität gelten solle, und zwischen übrigen offiziellen Handlungen, wofür eine Vermutung der Immunität gelte. Diese Abgrenzung vermag bereits nicht zu überzeugen, verschleiert sie doch lediglich, dass die Immunität insgesamt einen absoluten Wirkungsbereich für sich beanspruchen soll. Denn die Vermutungswirkung und schwere Abgrenzbarkeit auch zu inoffiziellen Handlungen (dazu sogleich) lässt sich als Zweifelssatz lesen, wonach im Zweifel der Immunität der Vorrang zu gewähren ist.
Lediglich für inoffizielle Handlungen solle diese Immunität nicht gelten. Die Abgrenzung zwischen offiziellen und inoffiziellen Handlungen des Präsidenten ist rechtlich jedoch wohl nicht mehr als eine bloße Farce. Dies wird daran deutlich, dass das Gericht verbot auf zwei wesentliche Beurteilungsparameter zurückzugreifen. Einerseits untersagte es, auf die Motive bzw. Beweggründe des Präsidenten abzustellen, und andererseits solle auch ein Verstoß gegen geltende Rechtsnormen nicht gegen die Natur einer offiziellen Amtshandlung sprechen – man könnte insofern, wie bereits Nixon argumentierte, schlussfolgern: für alle Handlungen des Präsidenten ist er nicht zur Rechenschaft zu ziehen.
Eine tragfähige Begründung für die Nichtberücksichtigung dieser Parameter bleibt das Gericht aber im Wesentlichen schuldig – vielmehr ergeht es sich in Zirkelschlüssen. Es begründet den Ausschluss dieser Beurteilungsparameter vornehmlich damit, dass die Immunität ansonsten seinen Sinn verlöre. Denn der Präsident solle nicht ständig der latenten Gefahr ausgesetzt sein, dass seine Handlungen als strafrechtlich relevant und immunitätsdurchbrechend beurteilt und diesbezüglich untersucht werden könnten.
In einem Urteil, welches die Immunität erstmals in dieser Form kreiert, wäre es jedoch angezeigt gewesen zu argumentieren, warum bei einem Verstoß gegen Recht und Gesetz weiterhin eine offizielle Amtshandlung vorläge. Denn das Argument gegen die Sichtweise des Gerichts, dass eine gesetzeswidrige Handlung nicht im Einklang mit der Verfassung und daher im Widerspruch zu den aus der Verfassung dem Präsidenten gewährten Machtbefugnissen steht – sodass keine offizielle Handlung des Präsidenten mehr gegeben sein kann – hat erhebliche Überzeugungskraft.
Überdies ist bemerkenswert, dass das Gericht die Immunität mit den verfassungsrechtlich eingeräumten Aufgabenwahrnehmungsbefugnissen des Präsidenten begründet, wobei die Immunität in der Verfassung explizit nicht genannt wird bzw. unerwähnt bleibt und damit zu einer ureigenen Schöpfung des Gerichts wird.
Die Erschaffung eines souveränen Herrschers
Der Präsident, der sich insofern nicht für sein Handeln strafrechtlich verantworten muss, wird zu einer über dem Gesetz stehenden Person – die Gewährung von Immunität kann nicht anders verstanden werden als die Erschaffung eines absoluten Souveräns. Als ein solcher ist er nicht mehr Teil der amerikanischen Demokratie und des amerikanischen Rechtssystem, sondern steht darüber.
Dies wird auch bei einem Vergleich zum Völkergewohnheitsrecht deutlich, wo bereits anerkannt ist, dass amtierende Staatsoberhäupter absolute Immunität vor der nationalen Strafverfolgung durch einen anderen Staat genießen. Dies hat seinen Grund jedoch in der Friedenssicherung und Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit. Seine legitimatorische Grundlage findet diese Anerkennung der absoluten Immunität in dem Grundsatz, dass Staaten angesichts der Gleichrangigkeit im internationalen Gefüge keine Gerichtsbarkeit über einen anderen Staat ausüben können. Denn der richtende Staat würde sich eine nicht bestehende Machtposition gegenüber dem gerichteten Staat anmaßen und insofern dessen Souveränität verletzten.
Dies kann allerdings nicht innerhalb eines Staates selbst gelten. Ansonsten müsste der amerikanische Präsident eine eigene Souveränität besitzen, die durch die nationale Strafverfolgung verletzt werden würde. In dieser Diktion kann die Gewährung der Immunität gegenüber dem ihn wählenden amerikanischen Volk, als eigentlichem Souverän der amerikanischen Demokratie, nicht anders verstanden werden, als dass der Präsident zum souveränen Herrscher ernannt wird.
Im Kontrast dazu steht beispielsweise die deutsche Konzeption, die für den Bundeskanzler keine absolute Immunität vorsieht und ihm auch nur im Rahmen seiner Stellung als Bundestagsabgeordneter eine u.a. vom Bundestag aufhebbare Immunität gem. Art. 46 II GG verleiht. Unter dem gleichen Vorbehalt steht gem. Art. 60 IV, 46 II GG auch die Immunität des Bundespräsidenten.
Wenn der amerikanische Staat die Reichweite der Handlungen seines Präsidenten nicht mehr zu kontrollieren vermag, kann auch die vom Gerichtshof zur Begründung der Immunität herangezogenen Gewaltenteilung nur noch ein Relikt der Vergangenheit sein – Gewaltenteilung kann nur dort funktionieren, wo eine gegenseitige Kontrollmöglichkeit gewährleistet ist.
Es mag zugestanden werden, dass eine Kontrolle des Präsidenten in der Theorie noch durch ein Impeachment-Verfahren ausgeübt werden kann. Allerdings sind die Hürden für den Erfolg eines solchen Verfahrens hoch – so müsste einerseits im Repräsentantenhaus eine einfache Mehrheit für die Einleitung des Verfahrens gefunden werden und im Senat eine Zweidrittelmehrheit die Verurteilung bestätigen. Zu berücksichtigen bleibt ferner, dass der Präsident, durch seine nunmehr entgrenzten Machtbefugnisse, selbst ein solches Verfahren durch Bestechung der Senatoren, gewaltsame Räumung des Senats oder Verfolgung der politischen Gegner straflos verhindern könnte. Das bereits zuvor äußerst schwerfällige Impeachment-Verfahren könnte sich von nun an als vollkommen zahnloser Tiger entpuppen, dass lediglich auf dem Papier den Schein einer demokratischen Gewaltenteilung wahrt.
Selbstbild der amerikanischen Demokratie
Die Entscheidung lässt zudem tief in das Selbstverständnis der amerikanischen Demokratie blicken. Wenn der Gerichtshof die Begründung der Immunität für Strafverfolgung als notwendig für die Wahrnehmung des präsidialen Amtes ansieht, dann bringt er damit zum Ausdruck, dass das Begehen von Straftaten zum notwendigen Kern des präsidialen Handelns gehört – ohne Straftaten und der Freiheit vor Strafverfolgung wäre das Amt nicht zu erfüllen. Das ist eine gefährliche Annahme in einer Demokratie.
Abschaffung der Demokratie – ein düsterer Ausblick
Der Weg zu Abschaffung der Demokratie ist somit für diejenigen geebnet, die Hand an diese legen wollen:
- Keine strafrechtlichen Konsequenzen – wenn der Präsident politische Gegner ermorden lässt.
- Keine strafrechtlichen Konsequenzen – wenn der Präsident öffentlich dazu aufruft oder gar in Auftrag gibt, Wähler vom Wählen politischer Gegner abzuhalten oder zu bedrohen.
- Keine strafrechtlichen Konsequenzen – wenn der Präsident Richter und andere Personen besticht, um sich durch Wahlmanipulation im Amt zu halten oder eine seiner Handlung als offizielle Amtshandlungen einstufen zu lassen.
- Keine strafrechtlichen Konsequenzen – wenn der Präsident öffentlich zu gewaltsamem Vorgehen gegen Minderheiten oder politische Gegner aufruft.
- Immunität bei allen „offiziellen“ Amtshandlungen, zu deren Beurteilung nicht einmal auf die Motive der Handlungen noch darauf abgestellt werden darf, ob damit Recht und Gesetz verletzt wird.
Diese erschreckenden Szenarien, die hoffentlich niemals Realität werden, erinnern sehr an die dunklen Kapitel des 20. Jahrhunderts in Deutschland und unter anderen totalitären Regimen.
Es ist daher überaus erstaunlich, dass der U.S. Supreme Court sich stark dafür einsetzt, als oberster Wächter der Verfassung und der amerikanischen Demokratie, ein Amt zu erschaffen, das diesen Maßstäben entzogen ist. Er leistet sehenden Auges einen erheblichen Beitrag, die Abschaffung derselben zu ermöglichen und seine eigene Bedeutungslosigkeit vorzuzeichnen.
Insofern kann sich den Worten von Richterin Sotomayor nur angeschlossen werden: In Angst um die amerikanische Demokratie(, die Freiheit der Menschen und die freiheitliche Weltordnung), widerspreche ich.
Zitiervorschlag: Studt, Tjorben, Wie man die Demokratie zerstört – eine Fallstudie, JuWissBlog Nr. 44/2024 v. 16.07.2024, https://www.juwiss.de/44-2024/.
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Sie argumentieren juristisch und damit neben der Sache:
Richterin Cannon („Loose Cannon“) wurde in Florida genau an diesem Gericht nur für eine Aufgabe eingesetzt: Donald Trump um jeden Preis zu schützen, auch wenn es die Verfassung kostet.