Technoclub und Umsatzsteuer: Sind Klubnächte ermäßigt zu besteuern?

von THOMAS SENDKE

Version 2Im September 2016 konnte man in vielen deutschsprachigen Medien lesen, der angesagte Berliner Technoclub Berghain sei nun offiziell Hochkultur. Anlass für diese überspitzte Aussage war ein interessantes Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. September 2016 (Aktenzeichen 5 K 5089/14). Darüber, ob das Berghain tatsächlich „Hochkultur“ ist, hatte das Finanzgericht allerdings mitnichten zu entscheiden. Worum also ging es im Streit zwischen dem Berghain und der Berliner Finanzverwaltung wirklich? Und wie ist die Entscheidung des Finanzgerichts einzuordnen?

Die Fakten des Falls

Jedes Wochenende veranstaltet der Berliner Technoclub Berghain die in der Szene angesagten Klubnächte, bei denen zwischen Freitagnacht und Montagmorgen auf zwei Geschossen bis zu 30 verschiedene DJs ihre Musik auflegen. Im Durchschnitt besuchen an einem Wochenende 3.000 Gäste die Klubnächte. Wer das Glück hat, einer dieser Gäste sein zu dürfen („härteste Tür Berlins“), muss ein Eintrittsgeld zahlen. Auch wenn es statt einer Eintrittskarte nur einen Stempel gibt, stellt dieser nichts anderes als eine Eintrittsberechtigung dar.

Zwischen dem Berghain und der Berliner Finanzverwaltung bestand nun Uneinigkeit darüber, wie die im Zusammenhang mit den Klubnächten erzielten Eintrittsgelder umsatzsteuerlich zu behandeln sind.

Die rechtliche Ausgangslage

Hintergrund ist, dass das deutsche Umsatzsteuerrecht zwei unterschiedliche Steuersätze kennt. Der Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG beträgt 19 %, während sich die Steuer bei bestimmten in § 12 Abs. 2 UStG konkretisierten Umsätzen auf 7 % ermäßigt. Ein einheitliches Konzept liegt den ermäßigt zu besteuernden Umsätzen nicht zugrunde. Hinter vielen der Steuerermäßigungen stehen aber sozialpolitische oder kulturelle Erwägungen, so auch hinter § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG, der einen ermäßigten Steuersatz u.a. auf die Eintrittsberechtigung für Konzerte vorsieht.

Innerhalb der Europäischen Union ist das Umsatzsteuerrecht harmonisiert. Das Unionsrecht gebietet die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Konzerte zwar nicht, erlaubt sie aber. Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf Dienstleistungen der in Anhang III MwStSystRL genannten Kategorien anwenden, worunter nach Nr. 7 auch Konzerte und ähnliche kulturelle Ereignisse fallen. Der deutsche Gesetzgeber hat durch § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Damit stellte sich die Frage, ob die Klubnächte Konzerte im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG sind und die Erlöse aus den Eintrittsgeldern entsprechend dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterfallen. Bei 12 %-Punkten Unterschied können sich erhebliche finanzielle Auswirkungen ergeben. Zu entscheiden hatte das Finanzgericht Berlin-Brandenburg.

Der Konzertbegriff des UStG

Anders als viele der Medienberichte nach der Entscheidung vermuten ließen, hatte das Finanzgericht dabei nicht zu entscheiden, ob es sich bei den Klubnächten im Berghain um Kultur handelt. Auch wenn dem ermäßigten Steuersatz kulturelle Erwägungen zugrunde liegen, ging es ausschließlich um die Frage, ob die Klubnächte die Merkmale eines Konzerts im Sinne von § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG erfüllen. Nach der Rechtsprechung des BFH (BStBl. II 2006, 101) handelt es sich bei einem Konzert im Sinne der Vorschrift um eine Aufführung von Musikstücken, bei denen Instrumente und/oder menschliche Stimmen eingesetzt werden. Dagegen erfüllt das bloße Abspielen von Tonträgern nicht die Merkmale eines Konzerts. Allerdings können auch technische Hilfsmittel wie z.B. Plattenteller oder Mischpulte als „Instrumente“ anzusehen sein, wenn in einem kreativen Prozess durch Verfremden und Mischen bereits bestehender Musik eine neue Musik geschaffen wird. Auf die Art der Musik kommt es dabei nicht an, sodass klassische Konzerte ebenso zu begünstigen sind wie Rock- oder Technokonzerte. Dies gebietet schon der weite und offene Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 GG. Entscheidend ist jeweils, dass die musikalische Darbietung der Hauptzweck der Veranstaltung ist und ihr das Gepräge gibt.

Die Entscheidung des Finanzgerichts

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Finanzgericht dem Berghain Recht gegeben: Die veranstalteten Klubnächte erfüllen die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG.

Entscheidend war für das Finanzgericht zunächst, dass die DJs nicht lediglich vorhandene Musik abspielen, sondern durch den Einsatz technischer Hilfsmittel wie beispielsweise Filter, Controller und Synthesizer neue Klangfolgen und Musikstücke schafften. Dabei handele es sich um einen kreativen Prozess, der künstlerischen Charakter habe. Weiterhin stellte das Finanzgericht fest, dass bei den Klubnächten – wie bei Konzerten üblich – eine Interaktion zwischen Künstler und Publikum stattfinde. Bei besonders gelungenen musikalischen Darbietungen jubele das Publikum dem DJ zu. Die Gäste seien tendenziell in Richtung DJ ausgerichtet, nach jedem Set leere sich der Raum erst einmal. Welcher DJ zu welcher Zeit auflegt, werde außerdem frühzeitig in Form einer Running Order über das Internet angekündigt. So könne das Publikum den Besuch der für sie interessanten Darbietungen im Vorfeld planen. Für viele Besucher stehe damit die kreative musikalische Darbietung der DJs und nicht das reine Feiern im Vordergrund.

Dabei lässt das Finanzgericht allerdings offen, ob es für die Beurteilung als Konzert überhaupt auf das Verhalten der Zuhörer ankommt oder ob nicht vielmehr die Absicht des Veranstalters entscheidend ist. Letztlich hat das Finanzgericht beide Aspekte in seine Entscheidung einfließen lassen, wobei sich Zuhörerverhalten und Veranstalterabsicht auch nicht widersprachen.

Schließlich stellte das Finanzgericht fest, dass ein Vorverkauf von Eintrittskarten für ein Konzert nicht konstitutiv ist. Ausfluss der Vertragsfreiheit sei gerade auch, dass der Veranstalter frei entscheiden könne, wie und wem er Eintrittsberechtigungen anbietet.

Verfassungsrechtliche Einordnung

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Eintrittsberechtigungen zu Konzerten ist nicht fiskalisch, sondern kulturpolitisch motiviert. Damit handelt es sich bei § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG um eine Sozialzwecknorm. Das Unionsrecht lässt dem deutschen Gesetzgeber – wie bereits dargestellt – im Bereich der Steuerermäßigungen noch einen recht weiten steuerpolitischen Gestaltungsspielraum. Innerhalb der Grenzen des unionsrechtlichen Neutralitätsgebots kann jeder einzelne Mitgliedstaat bestimmen, ob, und wenn ja, welche Leistungen ermäßigt besteuert werden sollen. Bei seiner Entscheidung muss der deutsche Gesetzgeber allerdings auch die Vorgaben des Grundgesetzes beachten. Die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG stellt eine Subvention dar. Insofern ist erforderlich, dass der erstrebte Lenkungszweck auf einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung beruht und gleichheitsgerecht im Sinne von Art. 3 GG ausgestaltet ist. Das BVerfG gesteht dem Gesetzgeber insoweit aber ebenfalls einen weiten Gestaltungsspielraum zu und beschränkt sich im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG auf eine reine Willkürkontrolle (BVerfGE 110, 274, 293). Unter Anlegung dieser Maßstäbe erscheint es nicht willkürlich, im Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) UStG eigenschöpferische musikalische Darbietungen, nicht aber das reine Abspielen eines Tonträgers zu begünstigen. Dies dürfte trotz der Weite ihres Schutzbereichs auch mit der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG korrespondieren. Schwierig dürfte im Einzelfall aber die Entscheidung sein, ob ein DJ tatsächlich eine konzertartige musikalische Darbietung erbringt oder lediglich Tonträger abspielt. Die Grenze dürfte insofern fließend sein: Stellt nicht schon das unter DJs verbreitete Scratching eine eigene künstlerische Leistung dar? Was ist mit dem Abspielen selbsterstellter Medleys? Letztlich ist eine Entscheidung immer nur anhand des konkreten Einzelfalls möglich, was allerdings zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen kann. Gerade im Bereich der neuen Konzertformen wären daher abgrenzungsfähige Kriterien unerlässlich.

Fazit

Die Entscheidung des Finanzgerichts ist zu begrüßen und kommt keinesfalls überraschend. Im Lichte von Art. 5 Abs. 3 GG ist es selbstverständlich und wurde entsprechend auch von der Finanzverwaltung nicht bestritten, dass man den Klubnächten nicht den Konzertcharakter mit der Begründung absprechen darf, diese entsprächen nicht den traditionellen Konzertformen. Allerdings fehlen gerade im Bereich neuer Konzertformen noch verlässliche Abgrenzungskriterien. Ob es sich um ein Konzert handelt, lässt sich daher immer nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststellen. Aus dem Urteil wird entsprechend deutlich, dass es sich um eine ganz konkrete Entscheidung ausschließlich für die Klubnächte im Berghain handelt. Nicht übertragbar dürfte die Entscheidung daher auf gewöhnliche Partynächte in Diskotheken sein. Hierbei handelt es sich ganz überwiegend um bloße Tanzveranstaltungen mit Partycharakter, nicht um Konzerte. Das Berghain ist eben kein Klub wie jeder andere.

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