Warum die Digitalsteuer zum Scheitern verurteilt ist

von THOMAS SENDKE

Der Befund ist ebenso eindeutig wie ernüchternd: das etablierte internationale Steuersystem ist für die Besteuerung der Digitalwirtschaft nicht geschaffen. Schon seit Jahren wird deshalb über eine angemessene Besteuerung von Konzernen wie Google, Apple, Facebook und Amazon diskutiert. Dabei immer im Fokus: eine Digitalsteuer. Erst kürzlich ist der neueste Anlauf zur Einführung einer solchen auf Ebene der Europäischen Union gescheitert. Anlass genug, um sich mit den Gründen für das Scheitern zu befassen.

Einstimmigkeitsprinzip auf Ebene der Union

Am 12. März 2019 ist der vorerst letzte Anlauf zur Einführung einer Digitalsteuer auf europäischer Ebene gescheitert. Dabei war der deutsch-französische Kompromissvorschlag schon auf ein Minimum, nämlich eine Besteuerung von Onlinewerbung, reduziert. Entscheidend war der Widerstand durch Irland, Schweden, Dänemark und Finnland. Bedenkt man, dass gerade Länder wie Irland (Europasitz u.a. von Facebook und Google) und Schweden (Sitz von Spotify) von den Internetkonzernen profitieren, kann der Ausgang der Abstimmung nicht überraschen.

Nun kann man die berechtigte Frage stellen, wieso eine Digitalsteuer auf europäischer Ebene scheitert, nur weil 4 von insgesamt 28 Mitgliedstaaten hiergegen votieren? Hintergrund ist das im Steuerrecht auf europäischer Ebene geltende Einstimmigkeitsprinzip. In Fragen der Steuerpolitik entscheiden die Mitgliedstaaten ausschließlich einstimmig und ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments. Dem liegt das Prinzip der nationalen Steuersouveränität zugrunde. Jedes Land bestimmt grundsätzlich selbst, ob und in welcher Höhe es Steuern erhebt. Anders als im Bereich der indirekten Steuern (insb. Umsatzsteuer) besteht für den Unionsgesetzgeber für das Recht der direkten Steuern (z.B. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) auch kein Harmonisierungsauftrag. Damit bleibt es innerhalb der Europäischen Union – und erst recht auf internationaler Ebene – bei einem Wettbewerb der Steuersysteme. Solange jedes Land nur seine eigenen Interessen verfolgt, erscheint schon ein Kompromiss auf europäischer Ebene aussichtslos.

Die Union sieht das Einstimmigkeitsprinzip in der Steuerpolitik mittlerweile als Anachronismus an und möchte stattdessen zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen übergehen. Die Mitgliedstaaten werden ein weiteres Stück ihrer nationalen Steuersouveränität aber kaum kampflos aufgeben. Immerhin ist die Steuerpolitik eine der wichtigsten Souveränitätspositionen des Staates. Deutschland scheint (überraschender Weise) einer Änderung offen gegenüberzustehen. Sollte das Einstimmigkeitsprinzip aber tatsächlich zugunsten einer qualifizierten Mehrheit aufgegeben werden, droht ein Legitimationsdefizit. Schließlich kann beim Einstimmigkeitsprinzip eine Entscheidung auf die demokratisch legitimierten nationalen Regierungen zurückgeführt werden. Als Ausgleich wäre an eine stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments zu denken. Schließlich gilt nach wie vor der Grundsatz: „No taxation without representation“.

Steuerpolitische Vorbehalte in Deutschland

Wieso aber führt Deutschland nicht eine nationale Digitalsteuer ein? Andere Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Österreich machen es schließlich gerade vor. Der Grund hierfür liegt weniger in rechtlichen Problemen, als in steuerpolitischen Vorbehalten. Zunächst wird keiner bezweifeln können, dass sich eine Digitalsteuer in erster Linie gegen US-amerikanische IT-Konzerne richten würde. Das verstehen auch die USA so und haben bereits eine Beschwerde bei der WTO angedroht. Viel schwerer dürfte aber die Sorge vor etwaigen Vergeltungsmaßnahmen im ohnehin angespannten wirtschaftspolitischen Verhältnis zu den USA wiegen. Die deutsche Politik scheint bereit, die deutsche (Automobil-) Industrie um jeden Preis zu schützen.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb Deutschland zögert, eine Digitalsteuer einzuführen. Befürchtet wird ein Bumerang-Effekt. Kennzeichnend für eine Digitalsteuer wäre nämlich, dass die IT-Konzerne ihre Gewinne dort versteuern müssen, wo sie ihre Leistungen anbieten und nicht dort, wo das Know-how liegt. Die konsequente Frage muss lauten: Wenn das für IT-Unternehmen gilt, wieso dann nicht für alle Unternehmen? Dies käme einer Revolution des internationalen Steuerrechts gleich und würde wohl auch in Deutschland zu erheblichen Steuerausfällen führen. Schließlich gibt es in der Exportnation Deutschland genügend Unternehmen, die ihre Gewinne im Ausland erwirtschaften, aber in Deutschland besteuern. Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung ist Deutschland also selbst ein Profiteur des bestehenden Systems.

Auch keine Digitalsteuer „durch die Hintertür“

Vor diesem Hintergrund ist die durchaus innovative Idee der bayerischen Finanzverwaltung hervorzuheben, das Problem der Besteuerung der digitalen Wirtschaft mit den bereits vorhandenen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zu lösen. Nach dem Verständnis der bayerischen Finanzverwaltung sollte die bei einem ausländischen Unternehmen geschaltete Onlinewerbung einer Abzugsteuer gemäß § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Schaltet beispielsweise ein deutscher Werbekunde über Google Ads eine Werbeanzeige, sollte hierin wahlweise eine Rechteüberlassung oder eine Nutzungsüberlassung von Know-how durch Google zu sehen sein. Von der Vergütung, die der deutsche Werbekunde an Google Ads zahlen würde, hätte er folglich eine pauschale Abzugsteuer von 15 % einbehalten und für Rechnung von Google Ads an den deutschen Fiskus abführen müssen. Ganz ohne Gesetzesänderung wäre es demnach zu einer partiellen Digitalsteuer gekommen. Ob sich der Sachverhalt tatsächlich unter die vorhandenen Normen subsumieren lässt, wurde in der steuerrechtlichen Literatur kontrovers diskutiert. Da die Vorschriften vom Gesetzgeber nicht explizit für diese Fälle geschaffen wurden, handelt es sich um ein klassisches Auslegungsproblem.

Allerdings ist das Vorhaben mittlerweile schon wieder gescheitert. Am 14. März 2019 veröffentlichte das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat eine Pressemitteilung, wonach eine Klärung auf Bund-Länder-Ebene zu dem Ergebnis geführt habe, dass kein Steuerabzug bei Onlinewerbung vorzunehmen sei. Verwiesen wurde auf den bürokratischen Mehraufwand und die Mehrbelastung für inländische Werbetreibende. Auch insofern dürften aber die oben genannten steuerpolitischen Erwägungen eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Die Digitalsteuer als systemwidrige Sondersteuer

Schließlich bestehen auch in der Steuerrechtswissenschaft Vorbehalte gegen die Einführung einer Digitalsteuer. Im bestehenden Gefüge stellt die Digitalsteuer eine systemwidrige Sondersteuer dar. Zum einen knüpft sie an den Umsatz der Unternehmen der Digitalwirtschaft und nicht – wie bei der Ertragsbesteuerung von Unternehmen üblich – an den Gewinn an. Von der Umsatzsteuer als Verbrauchssteuer unterscheidet sie sich umgekehrt dadurch, dass im Ergebnis nicht der Endverbraucher, sondern das Unternehmen mit der Digitalsteuer belastet werden soll. Durch den ungewöhnlichen Anknüpfungspunkt kann eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung drohen, die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen helfen insofern kaum. Außerdem knüpft die Digitalsteuer an bestimmte Größenmerkmale an. Erfasst werden sollen ganz offensichtlich nur die großen US-amerikanischen IT-Unternehmen wie Google, Apple, Facebook oder Amazon. Die auch in Europa existierenden IT-Unternehmen sollen dagegen überwiegend geschützt werden. Überzeugen kann diese Ungleichbehandlung nicht.

Fazit

Es bleibt damit dabei, dass die Einführung einer Digitalsteuer in Deutschland zurzeit wenig aussichtsreich ist. Die Europäische Union kann nicht, Deutschland (alleine) will nicht. Ohnehin war die Digitalsteuer nur als Zwischenlösung auf dem Weg zu einer globalen Lösung gedacht. Die Notwendigkeit, das internationale Steuerrecht systemkonform an die neuen Gegebenheiten einer digitalen Wirtschaft – beispielsweise durch Einführung einer digitalen Betriebsstätte – anzupassen, ist längst erkannt. Ein solches Vorhaben durchzusetzen wird allerdings schwer genug – zu sehr beharren die Länder auf ihrer Steuersouveränität, zu sehr sind sie allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Die IT-Konzerne dürfte das freuen.

 

Zitiervorschlag: Sendke, Warum die Digitalsteuer zum Scheitern verurteilt ist, JuWissBlog Nr. 44/2019 v. 28.3.2019, https://www.juwiss.de/44-2019/

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Digitalisierung, Digitalsteuer, Europäische Union, Gesetzgebung, Steuerrecht, Thomas Sendke
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