Zu den Plänen der Unionsfraktion für eine Beschränkung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
von ANNA VON NOTZ
Laut einem Bericht der FAZ vom 3.4.2014 traf sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Vorabend mit „ausgesuchten Staatsrechtslehrern“ bei einem Berliner Edelitaliener. Thema war u.a. das Bundesverfassungsgericht, genauer die Frage, wie dessen Kompetenzen eingeschränkt werden könnten. Anlass dieser Überlegungen ist laut FAZ der Unmut von Teilen der Politik über jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die als Ausgreifen in die Sphäre des Gesetzgebers kritisiert worden waren. Zuletzt hatte insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit der 3%-Hürde im Europawahlrecht heftige Reaktionen aus fast allen Lagern der Berliner Politik ausgelöst und den Spiegel dazu veranlasst, von Bundesverfassungsgericht als einer „AfD in roten Roben“ zu sprechen; zuvor waren die Entscheidungen zur Gleichstellung homosexueller Paare beim Ehegattensplitting (Günter Krings, CDU-Abgeordneter und seit 2013 Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium warf dem Bundesverfassungsgericht vor, beim „trickreichen Spiel“ der Opposition zur Überlistung des besonderen Schutzes der Ehe mitzumachen) sowie zur Vorratsdatenspeicherung auf Kritik gestoßen (von Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, war zu hören, wer Gesetze gestalten wolle, solle sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden). Einen Tag nach der „Pizza-Connection zur dritten Gewalt“ trafen sich konservative Abgeordnete der CDU-/CSU-Fraktion um den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zum selben Thema und verkündeten anschließend, die Unionsfraktion wolle künftig stärker auf die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für die Richterposten achten. Welche Maßnahmen konkret vorgesehen und wie weit deren Planungen bereits gediehen sind, blieb unklar. Im Wesentlichen scheinen aber folgende Vorschläge im Raum zu stehen:
Weniger Hochschullehrer
Eine Überlegung besteht laut FAZ-Bericht darin, die Anzahl der Professorinnen und Professoren unter den Bundesverfassungsrichtern zu reduzieren. Tatsächlich kommen aktuell 8 von 16 Bundesverfassungsrichterinnen und -richtern aus der Wissenschaft. Dieser Entwicklung ließe sich zum einen durch eine Änderung der Berufungspraxis begegnen, zum anderen durch eine Erhöhung des Mindestanteils der Richterinnen und Richter von obersten Gerichtshöfen des Bundes, welcher sich nach § 2 III BVerfGG zur Zeit auf 3 Richter pro Senat beläuft. Letzteres würde allerdings die Verengung auf die Alternative Hochschullehrerin oder Richter, welche am Bundesverfassungsgericht gegenwärtig Realität ist, noch verstärken. Es gibt aber noch andere juristische Berufe und insbesondere für die Berufung eines Rechtsanwalts, der weniger Staatstheorie und mehr Falllösung betreibt und „die verfassungsrechtlichen Maßstäbe von einer Jedermann-Ebene aus“ beurteilt, gibt es gute Gründe. Es besteht aber der Verdacht, dass die aktuellen Gedankenspiele zur Reduzierung des Hochschullehreranteils eher der Überlegung entspringen, damit werde das Bundesverfassungsgericht insgesamt pragmatischer und für den Gesetzgeber weniger unbequem. In diesem Zusammenhang sei allerdings angemerkt, dass sich der Unmut der Unionsabgeordneten insbesondere an Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber entzündet, der zwar ebenfalls dem Lager der Hochschullehrer zuzurechnen ist, als ehemaliger CDU-Innenminister in Thüringen aber auch politische Erfahrung mitbringt (und nun zum Bedauern der Unionsabgeordneten so tue, als habe er nie etwas mit der Union zu tun gehabt). So einfach scheint die Rechnung also nicht zu sein.
Wahl der Richterinnen und Richter durch das Plenum
Schon konkreter sind die Reformüberlegungen zur Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts. Hier hat sich die große Koalition darauf geeinigt, dass die acht gem. Art. 94 I 2 GG „vom Bundestag“ zu wählenden Richter nunmehr vom Plenum gewählt werden sollen, statt wie bisher durch einen aus zwölf Abgeordneten bestehenden und zur Verschwiegenheit verpflichteten Wahlausschuss (§ 6 BVerfGG) – eine seit jeher umstrittene Praxis, die das Bundesverfassungsgericht 2012 aber für verfassungsgemäß erklärt hat. Eine Anhörung der Kandidatinnen und Kandidaten im Plenum soll es nach den bisherigen Plänen allerdings nicht geben – zu groß ist die Angst, dass es zu einem Wahlkampf und damit zu einer Politisierung des Gerichts käme, die das Vertrauen in seine Unabhängigkeit erschüttern könnte.
Verkürzung der Amtszeit und Möglichkeit zur Wiederwahl
Die Überlegungen der Unionsfraktion gehen aber offenbar noch weiter. Erwogen wird auch, die Amtszeit der Richterinnen und Richter zu verkürzen und eine Wiederwahl zuzulassen. Beides wäre durch eine Änderung von § 4 BVerfGG möglich, im Interesse der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht wünschenswert. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts umfasst – ganz im Sinne der Gewaltenteilung – auch die Kontrolle von Handlungen des Bundestages und damit des Verfassungsorgans, welches nach Ablauf der (verkürzten) Amtszeit über eine Wiederwahl zu entscheiden hätte. Wenn schon bei der Erstwahl der Richterinnen und Richter durch das Plenum Bedenken einer Politisierung des Gerichts bestehen, so muss dies erst recht für die Möglichkeit einer Wiederwahl gelten – „Wahlprogramm“ wären in diesem Fall die von den einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten mitgetragenen Entscheidungen bzw. abweichenden Meinungen. Die aktuell zwölfjährige Amtszeit stellt hingegen eine Kontinuität in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sicher und erlaubt es den Richterinnen und Richtern, eine gewisse Wirkung auf die Rechtsprechung zu entfalten – ohne darauf zu schielen bzw. schielen zu müssen, ob sie der parlamentarischen Mehrheit passt.
Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang auch, dass die Bundesrepublik an anderer Stelle, nämlich bei den deutschen Richtern am EuGH, von der gem. Art. 253 IV AEUV bestehenden Möglichkeit zur Wiederernennung bisher nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht hat. Eine Ausnahme stellt insofern der amtierende deutsche Richter am EuGH, Thomas von Danwitz, dar, der 2006 (übrigens als Kandidat der Union) nach Luxemburg ging und in seiner zweiten Amtszeit an Einfluss innerhalb des EuGH gewonnen hat – jüngst wirkte er als Berichterstatter im Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung, was wieder ein Beispiel dafür wäre, dass Berufungsregeln nicht immer die politisch gewünschten Ergebnisse zeitigen …
Verwerfen von Gesetzen mit Zweidrittelmehrheit
Weiteres Thema beim Edelitaliener war laut FAZ der Vorschlag, für das Verwerfen von Gesetzen künftig eine Zweidrittelmehrheit des Senats zu verlangen (übrigens auch kein neuer Gedanke, lesenswert in diesem Zusammenhang der Aufsatz von Thomas von Danwitz, JZ 1996, 481-489). Bisher entscheidet das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich mit der Mehrheit der mitwirkenden Senatsmitglieder, § 15 IV 2 BVerfGG. Nur ausnahmsweise bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, insbesondere für Verfahren wegen der Verwirkung von Grundrechten, für ein Parteiverbot sowie für Bundespräsidenten- und Richteranklagen, § 15 IV 1 BVerfGG. Dabei handelt es sich erkennbar um ganz besondere Ausnahmefälle, in denen die hohe Eingriffsintensität und der strafrechtsähnliche Charakter eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit erfordern. Der Regelfall bleibt aber die Mehrheitsentscheidung. Eine Ausweitung des Erfordernisses einer Zweidrittelmehrheit auf das Verwerfen von Gesetzen würde diese Regelungslogik durchbrechen – zumal das Mehrheitserfordernis wohl nicht nur für die abstrakte, sondern auch für die konkrete und inzidente Normenkontrolle gelten müsste. Nicht zuletzt würde das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit Minderheitenpositionen innerhalb des Bundesverfassungsgerichts zu überproportionalem Gewicht verhelfen.
Änderung der Rechtsmaßstäbe
Schließlich berichtet die FAZ von Überlegungen, Art. 23 GG so zu verändern, dass der Gesetzgeber an Spielraum gewinne. In die gleiche Richtung zielt der in Reaktion auf die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur 3%-Klausel im Europawahlrecht in der Unionsfraktion diskutierte Vorschlag, die 5%-Klausel bei Bundestagswahlen im Grundgesetz festzuschreiben und sie somit dem Zugriff aus Karlsruhe zu entziehen. Beide Vorstöße sind legitim. Setzung sowie Änderung des für die Rechtsprechung verbindlichen Rechtsmaßstabes sind Sache des (verfassungsändernden) Gesetzgebers – und bleiben es, auch wenn damit auf eine unliebsame Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reagiert wird.
Genau hier liegt die der Politik verfassungsrechtlich zur Verfügung stehende Antwort auf vermeintliche Kompetenzüberschreitungen des Bundesverfassungsgerichts und die „zunehmende Entfremdung zwischen Berlin und Karlsruhe“. Anstatt der Entscheidung gesellschaftspolitisch umstrittener Fragen aus dem Weg zu gehen und sich von Karlsruhe gleichsam „an die Hand nehmen zu lassen“ (so Thomas de Maizière), muss der Gesetzgeber seinen Gestaltungsauftrag wieder ernst nehmen.
Unbequemlichkeit als Wesensmerkmal der Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Klagen der Politik über die Respektlosigkeit des obersten Gerichts vor dem Gesetzgeber sind so alt wie die Verfassungsgerichtsbarkeit selbst. Und sie sind dieser immanent. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht nur oberstes Gericht, sondern selbstständiges Verfassungsorgan, dem die Kontrolle der Handlungen der übrigen Verfassungsorgane aufgegeben ist und dessen Entscheidungen deshalb stets geeignet sind, erhebliche politische Wirkungen zu zeitigen. Es liegt daher im Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit, dass sie der Politik Schwierigkeiten bereitet. Die Politik sollte das aushalten. Sie ist schlecht beraten, darauf mit Beschneidungen der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zu reagieren.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Der Artikel ist gut zu lesen, die Anakyse geht mir aber nicht weit genug. Interessant wäre die Abgrenzung des BVerfGG zum GG gewesen, oder genauer: Die Beantwortung der Frage, wie weit eine Änderung des BVerfGG überhaupt geeignet ist, die Kompetenzen des BVerfG zu beschneiden. Da das Bundesverfassungsgericht – wie richtigerweise erwähnt wird – Verfassungsorgan ist, zieht es seine Kompetenzen primär aus der Verfassung selbst. Der Gesetzgeber kann also erstmal viel schreiben – wenn es sich nicht mit der Verfassung verträgt, hat er ein Problem.