von Jonathan Schaub
„Hausbesetzung ist illegal – aber Leerstand auch“. In jüngster Zeit sind Hausbesetzungen als Mittel politischen Protests wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ein aktueller Beschluss des BGH illustriert die rechtlichen Probleme, vor die Hauseigentümer gestellt werden, wenn sie gegen die Besetzer vorgehen möchten. Eine gänzlich überzeugende Lösung hat er allerdings nicht gefunden. Ein genauerer Blick zurück in die 1980er wäre hilfreich gewesen.
Über Pfingsten wurden in Berlin zwei leerstehende Häuser besetzt. Die Hausbesetzer würden „Unvernunft von Leerstand in einer Stadt mit Wohnungsnot, Armut und Verdrängung nicht länger hinnehmen“ und werden deshalb „in Zukunft Häuser nehmen“. Auf taube Ohren stoßen sie mit ihrer Forderung nicht. Nach einer von der Berliner Zeitung in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage hielten 53 % der befragten Berliner Bürger Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel, um auf das Thema Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Der Berliner Justizsenator verwies in einem Interview zu dem Thema auf die Unterscheidung zwischen „Legalität“ und „Legitimität.“ Die politische Diskussion um Hausbesetzungen ist damit in vollem Gange.
Dilemma des Vollstreckungsgläubigers
In rechtlicher Hinsicht stellen sich vor allem Fragen im Hinblick auf die Wahrung der Interessen der betroffenen Hauseigentümer. Nach der seit den 1980er Jahren verfolgten „Berliner Linie“ soll innerhalb von 24 Stunden nach Bekanntwerden einer Besetzung eine polizeiliche Räumung erfolgen, wenn ein Strafantrag gestellt wurde. Besondere Relevanz hat die polizeiliche Räumung durch einen Beschluss des BGH erhalten. Er illustriert das Dilemma, dem sich Hauseigentümer gegenübersehen, wenn sie im Wege der Zwangsvollstreckung gegen Hausbesetzer vorgehen möchten. Regelmäßig werden die Personen, die das Haus besetzen, dem Eigentümer unbekannt sein. Die rechtmäßige Vollstreckung des erstrittenen Räumungstitels setzt indes voraus, dass der Vollstreckungsschuldner gem. § 750 I ZPO hinreichend bestimmbar ist. Ausreichend ist nach der Rechtsprechung des BGH dabei zwar, dass durch eine Auslegung anhand des Titels ohne Weiteres festgestellt werden kann, wer Partei des Verfügungsverfahrens ist. Dem wird nach dem BGH aber nicht Genüge getan, wenn sich der Titel lediglich auf die besetzte Räumlichkeit bezieht. Aufgrund der strengen Formalität des Vollstreckungsverfahrens, die auch dem Schutz der Vollstreckung gegen Unbeteiligte dient, sei ein „Titel gegen Unbekannt“, „gegen den, den es angeht“ oder ein „lagebezogener“ Titel unzulässig.
Verweis auf das Polizei- und Ordnungsrecht?
Dagegen vorgebrachten Bedenken im Hinblick darauf, dass der Eigentümer rechtlos gestellt würde, entgegnet der BGH mit der Möglichkeit der Räumung nach dem Polizei- und Ordnungsrecht. Er bejaht die Betroffenheit eines polizeilichen Schutzguts in Form der öffentlichen Sicherheit, weil das widerrechtliche Eindringen und Verweilen in Wohnungen, Geschäftsräumen oder befriedetem Besitztum gem. § 123 I StGB strafbar „ist“. Die Subsidiarität polizeilichen Einschreitens bezüglich dem Schutz privater Rechte verneint der BGH, weil hiervon nur die ausschließliche Gefährdung privater Rechte umfasst sei. Bei strafbaren Handlungen werde jedoch die öffentliche Sicherheit betroffen, sodass die Eingriffsvoraussetzungen für den polizeilichen Schutz privater Rechte bei Hausbesetzungen regelmäßig vorlägen.
Im Ergebnis sieht der BGH die Polizei zum Einschreiten gegen die Hausbesetzer verpflichtet. Eine tiefergehende Begründung hierfür bleibt er aber schuldig. Dies überrascht. Denn ein Anspruch auf Einschreiten kann gegen die nach dem Opportunitätsprinzip arbeitende Polizei nur ausnahmsweise bejaht werden. Insbesondere kommt ein Anspruch durch Ermessensreduktion auf Null in Betracht. Die Ermessensreduktion muss aber nicht nur das Entschließungsermessen (Frage des „ob“), sondern auch das Auswahlermessen (Frage des „wie“) betreffen. Die Hürden sind nach der – von der Literatur kritisch gesehenen – Rechtsprechung hoch. Bejaht wurde eine Pflicht zum Einschreiten nur bei erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter, d. h. Leben und körperliche Unversehrtheit des einzelnen, aber nicht bloßes Sacheigentum.
Auf die grundlegende Problematik wurde bereits in den 1980er Jahren – zur „Hochzeit“ von Hausbesetzungen – insbesondere durch Degenhart (Jus 1982, 330, 333) und Schlink (NVwZ 1982, 529, 533) hingewiesen. Die Polizei dürfe bei einer beantragten polizeilichen Hausräumung jedenfalls nur solche Faktoren bei ihrer Ermessensausübung berücksichtigen, die auch in ihre Zuständigkeit fallen. Relevant sind nur sicherheitsrechtliche Gesichtspunkte. Die Polizei dürfe deswegen nicht als solches beurteilen, ob „der private Rechtsträger einen guten oder einen schlechten Gebrauch seines Rechts macht, sein Eigentum zu Spekulationsgewinnen oder sozialpolitisch wünschenswert nutzt“ (Schlink) oder ob er gegen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums verstößt. (Degenhart). Das VG Berlin hat in einem Beschluss aus dem Jahr 1981 (Az. 1 A 87/81) als taugliches Ermessenskriterium auch die sich anbahnende Möglichkeit einer friedlichen Einigung sowohl mit den Hausbesetzern als auch mit dem Hauseigentümer anerkannt.
Welche Ermessenserwägungen anzustellen und opportun sind, ist eine Frage des Einzelfalls und keiner generalisierenden Bewertung zugänglich. Eine Pflicht zum polizeilichen Einschreiten gegen Hausbesetzer kann mithin nicht ohne Weiteres angenommen werden, sondern bedarf einer eingehenderen Auseinandersetzung mit den Gesichtspunkten der Ermessensausübung. Hieran offenbart sich die gesetzlich umgrenzte Zuständigkeit der Polizei zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit, die die Subsidiarität polizeilichen Schutzes privater Rechte rechtfertigt.
Ferner sind auch Fälle denkbar, in denen eine Hausbesetzung kein nach § 123 I StGB strafbares Verhalten darstellt. Dies gilt umso mehr, als es sich um ein Antragsdelikt handelt. In dem erwähnten Interview hat der Berliner Justizsenator Hausbesetzungen in die Nähe von Fällen des Eindringens in Tierställe durch Tierschützer gerückt: ein Verhalten, das vom OLG Naumburg unter bestimmten Voraussetzungen als durch den Tierschutz gerechtfertigt angesehen wurde.
Auch heute acceptable, aber Handlungsbedarf
Die angesprochenen Punkte gilt es bei der Frage nach einem Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen Hausbesetzer zu berücksichtigen. Das ist spätestens seit den 1980er Jahren bekannt. Der BGH erkennt zwar, dass in Fällen illegaler Haus- und Grundstücksbesetzungen ein gesetzliches Defizit bei der Vollstreckung besteht. Die in einer apodiktischen Pauschalität gehaltenen Ausführungen zum polizeilichen Einschreiten können aber nicht überzeugen, wenn Rechtsuchende auf das öffentliche Recht verwiesen werden sollen. Es bedarf eines stimmigen Systems zwischen privater Rechtsdurchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung und den öffentlich-rechtlichen Anforderungen an polizeiliches Tätigwerden zum Schutze privater Rechte in Bezug auf Hausbesetzungen.
Zitiervorschlag: Schaub, Acceptable in the 80s? – Der Schutz privater Rechte bei Hausbesetzungen, JuWissBlog Nr. 62/2018 v. 14.06.2018, https://www.juwiss.de/62-2018/
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