von CORINNA KREISSL
Das Thema Schiedsverfahren wird aktuell im Zuge der TTIP-Verhandlungen heiß diskutiert. Brisant ist das Thema aber nicht nur im Rahmen von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten, sondern ebenso bei unionsinternen Abkommen. So verklagte zum Beispiel auch das Unternehmen Vattenfall die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz vor einem Schiedsgericht. Die Kommission, die regelmäßig und auch in diesem Verfahren als amicus curiae auftritt, äußert sich klar gegen die Vereinbarkeit von Schiedsgerichtsverfahren mit dem Unionsrecht. Sie vertritt die Meinung, dass innereuropäische Streitfragen von europäischen Institutionen gelöst werden müssen.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat nun mit Beschluss vom 03. März 2016 (Az. I ZB 2/15) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorgelegt.
Sachverhalt
Antragstellerin ist die Slowakische Republik, seit 01. Januar 1993 Rechtsnachfolgerin der Tschechoslowakei. Antragsgegnerin ist eine niederländische Versicherungsgruppe, die aus 12 im Versicherungs- und Rückversicherungssektor tätigen Unternehmen besteht. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung eines Schiedsspruchs, mit dem der Antragsgegnerin Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des zwischen dem Königreich der Niederlande und der damaligen Tschechoslowakei abgeschlossenen Investitionsschutzabkommens gegen die Antragstellerin zugesprochen worden sind.
Im Jahr 1991 schlossen die Tschechoslowakei und das Königreich der Niederlande ein bilaterales Abkommen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (Bilateral Investment Treaty, im Folgenden BIT). Mit diesem Abkommen verpflichten sich die beiden Vertragsparteien, die Investitionen von Investoren der jeweils anderen Vertragspartei zu schützen und stimmen überdies zu, dass Streitigkeiten hinsichtlich der Investitionen einem Schiedsgericht vorgetragen werden (Schiedsklausel).
Mit Wirkung zum 01. Mai 2004 trat die Antragstellerin der Europäischen Union bei. Im selben Jahr öffnete die Antragstellerin im Rahmen einer umfassenden Gesundheitsreform den slowakischen Markt erstmals für in- und ausländische private Krankenversicherungen. Die Antragsgegnerin wurde mit einem Unternehmen in der Slowakischen Republik als Krankenversicherer zugelassen. Nach einem Regierungswechsel im Jahr 2006 machte die Antragstellerin die Liberalisierung des Krankenversicherungssektors teilweise rückgängig und schränkte private Krankenversicherer erheblich ein. Der Einsatz von Versicherungsmaklern, die Gewinnausschüttung aus dem Krankenversicherungsgeschäft und die Veräußerung von Versicherungsportfolios wurden verboten. Nachdem das slowakische Verfassungsgericht allerdings die Verfassungswidrigkeit des Verbots der Gewinnausschüttung feststellte, ließ sie diese durch Gesetz vom 01. August 2011 wieder zu.
Im Oktober 2008 leitete die Antragsgegnerin ein Schiedsverfahren gegen die Antragstellerin ein und machte Schadensersatzsprüche wegen der von der Antragstellerin getroffenen Einschränkungen geltend. Sie stützte die Klage darauf, dass die Regulierungsmaßnahmen aus dem Jahr 2006 ihre Rechte aus dem BIT verletzt hätten. Dadurch sei ihr ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden.
Die Antragstellerin behauptet, dass das Schiedsgericht bereits unzuständig sei, da das BIT mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union unwirksam geworden sei. Es sei mit dem Unionsrecht unvereinbar und deshalb unanwendbar.
Entscheidung des Schiedsgerichts
Das Schiedsgericht bejahte seine Zuständigkeit und verurteilte die Antragstellerin zu einer Zahlung von 22,1 Millionen Euro nebst Zinsen an die Antragsgegenerin. Das Schiedsgericht entschied, dass die Investitionen der Antragsgegnerin durch das BIT geschützt seien. Den von der Antragstellerin darauf erhobenen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs wies das Oberlandesgericht Frankfurt mit Beschluss vom 18. Oktober zurück (Az. 26 Sch 3/13). Das Oberlandesgericht Frankfurt war für die Entscheidung gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zuständig, da im Schiedsverfahren in Abstimmung mit den Parteien Frankfurt am Main als Ort des Schiedsverfahrens festgelegt wurde.
Wirksamkeit der Schiedsklausel
Gegen diesen Beschluss richtet sich nun die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
Mit dem Beitritt der Antragstellerin zur Europäischen Union handelt es sich bei dem BIT um ein unionsinternes Abkommen zwischen den Mitgliedsstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH geht das Unionsrecht früher vereinbarten Regelungen in anderen Abkommen zwischen Mitgliedsstaaten im Kollisionsfall vor. Die Frage, ob eine Schiedsklausel in einem unionsinternen BIT mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 344, 267 und 18 AEUV vereinbar ist, hat der EuGH bislang nicht beantwortet. Deshalb hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage gestellt, ob Art. 344, 267 oder Art. 18 Abs. 1 AEUV der Vereinbarung einer Schiedsklausel in einem unionsinternen BIT entgegenstehen.
Verstoß gegen Art. 344 AEUV?
Die Möglichkeit, ein privates Schiedsgericht anzurufen, könnte zunächst gegen Art. 344 AEUV verstoßen. Nach Art. 344 AEUV verpflichten sich die Mitgliedsstaaten Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Unionsverträge allein durch die dort vorgesehenen Streitbeilegungsmechanismen zu regeln. Sowohl das OLG als auch der BGH sind allerdings der Ansicht, dass ein solcher Verstoß nicht gegeben sei. Zum einen erfasse die Bestimmung nur Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten. Der reine Wortlaut spreche also dagegen, dass Art. 344 AEUV sich auch an Streitigkeiten zwischen Privaten und Mitgliedsstaaten richte. Zum anderen sei es zweifelhaft, ob es sich bei der Streitigkeit der vorliegenden Art um die Auslegung und Anwendung der Unionsverträge handele.
Vorliegend basiert die Streitigkeit auf dem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen den beiden Parteien. Ferner verpflichtet die Norm die Mitgliedsstaaten, zur Beilegung von Streitigkeiten auf die in den Unionsverträgen vorgesehenen Verfahren zurückzugreifen. Die Unionsverträge sehen aber kein gerichtliches Verfahren vor, in dem ein Investor Schadensersatzansprüche basierend auf einem unionsinternen BIT gegen einen Mitgliedsstaat geltend machen kann. Zwar regelt Art. 267 AEUV, dass ein nationales Gericht im Falle einer von ihm geführten Streitigkeit zwischen einem privaten Investor und einem Mitgliedsstaat gegebenenfalls eine Vorabentscheidung des EuGHs einholen muss. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein unionsvertragliches Streitbeilegungsverfahren im Sinne von Art. 344 AEUV, sondern vielmehr um ein Zwischenverfahren zur Klärung einer entscheidungserheblichen Vorfrage des Unionsrechts in einem nationalen Streitbeilegungsverfahren. Mit Art. 344 AEUV soll die einheitliche Auslegung des Unionsrechts sichergestellt sein. Daraus kann aber nicht die Entscheidungskompetenz des EuGHs für jede Streitigkeit gefolgert werden, in der Unionsrecht zur Anwendung oder Auslegung kommen kann. Die Norm schützt nur die ausschließliche Zuständigkeit des EuGHs und die Autonomie des Rechtssystems dahingehend, dass die Mitgliedsstaaten die Verfahren in Anspruch nehmen müssen, die dem EuGHs durch die Unionsverträge zugewiesen sind. Diese Zuständigkeit wird durch das Schiedsverfahren nicht beeinträchtigt, da das Unionsrecht keine Klagemöglichkeit eines Privaten gegen einen Mitgliedsstaat vorsieht.
Verstoß gegen Art. 267 AEUV?
Möglicherweise könnte die Schiedsklausel gegen Art. 267 AEUV verstoßen, wonach der EuGH im Wege des Vorabverfahrens über die Auslegung der Verträge und über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union entscheidet. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann (Abs. 2) oder muss (Abs. 3) es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Das Vorabentscheidungsverfahren stellt ein Schlüsselelement des europäischen Gerichtssystems dar und gewährleistet die einheitliche Auslegung des Unionsrechts. Der Vorabentscheidungsmechanismus soll eine uneinheitliche Interpretation des Unionsrechts durch die nationalen Gerichte verhindern. Weder das OLG Frankfurt noch der BGH sehen hier einen Verstoß gegen Art. 267 AEUV. Das Schiedsgericht kann zwar nicht die Einheitlichkeit des Unionsrechts gewährleisten, da es nicht als vorlagebefugtes Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV qualifiziert wird. Die einheitliche Auslegung des Unionsrechts kann jedoch dadurch sichergestellt werden, dass vor der Vollstreckung aus dem Schiedsspruch das nationale Gericht die Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit dem Unionsrecht überprüft und bei Zweifeln über die Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift den EuGH zur Vorabentscheidung anrufen. Diese Prüfbefugnis der nationalen Gerichte besteht allerdings nur für grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts, die für die Erfüllung der Aufgaben der Union und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich sind. Bei einer Missachtung von Unionsvorschriften, die nicht zu den grundlegenden Bestimmungen zählen, ist die Letztentscheidungskompetenz hingegen nicht gewährleistet. Das bedeutet aber nicht, dass Schiedsklauseln grundsätzlich gegen Art. 267 AEUV verstoßen. Der EuGH hat selbst Gerichte außerhalb der Unionsrechtsordnung für mit dem Unionsrecht vereinbar befunden, sofern die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird. Die Effizienz der Schiedsverfahren rechtfertigt es zudem, Schiedssprüche nur in beschränktem Umfang auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht zu überprüfen oder die Versagung seiner Anerkennung nur in außergewöhnlichen Fällen zu gestatten.
Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV?
Schließlich könnte die Schiedsklausel gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstoßen, wonach jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Da sich auf die Schiedsklausel aus dem BIT nur der Investor der Vertragspartei berufen kann, könnte das gegenüber Investoren aus anderen Mitgliedsstaaten, die kein Schiedsgericht anrufen können, eine Diskriminierung darstellen. Allerdings müsste aus dieser Annahme nicht zwangsläufig folgen, dass die Antragsgegnerin sich nicht auf die Schiedsklausel berufen kann. Zum einen hat sie ein berechtigtes Vertrauen auf die Gültigkeit der Klausel. Zum anderen wird nach der Rechtsprechung des EuGHs einen Diskriminierung regelmäßig dadurch beseitigt, dass die benachteiligte Person Anspruch auf die gleiche Behandlung wie die begünstigte Person hat. In der vorliegenden Konstellation würde das bedeuten, dass bei Streitigkeiten mit der Antragstellerin Dritten ebenso Zugang zu einem Schiedsgericht gewährt werden müsste.
Ausblick
Knackpunkt der Entscheidung des EuGH wird wohl die Frage sein, ob die Schiedsklausel eine unzulässige Diskriminierung im Sinne von Art. 18 Abs.1 AEUV darstellt. Sollte der EuGH zu dieser Antwort kommen, läge ein Grund zur Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a ZPO vor. Man darf also gespannt sein, wie nun der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren darüber befinden wird.
Neben den Schiedsklauseln, stehen auch die Investitionsschutzabkommen an sich auf dem Prüfstand. Ebenso könnte das gesamte Abkommen gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstoßen. Die Kommission geht von einer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht aus und forderte die Mitgliedsstaaten auf, ihre unionsinternen Investitionsschutzabkommen zu kündigen. Einige Mitgliedsstaaten haben sich nun kürzlich dazu geäußert und sich bereit erklärt, die bestehenden unionsinternen Investitionsschutzabkommen zu beenden.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Corinna,
vielen Dank für diesen Beitrag, der die Problematik gut auf den Punkt bringt!
Folgt man Deiner Einschätzung (und in der Hinsicht auch dem Beschluss des BGH), so dürfte nur Artikel 18 AEUV noch dem Moment entgegenstehen, in dem der EuGH dem intra-EU-Investitionsschutz seinen Segen gibt. Wünschenswert wäre dies sicherlich, denn ansonsten würde Privaten auf europäischer Ebene eine Rechtsschutzmöglichkeit genommen, die – wie Du und das OLG FFM/der BGH ja richtig schreiben – nach den EU-Verträgen nicht existiert. Ein wenig skeptisch bin ich allerdings, dass der EuGH die anderen beiden Vorlagefragen weniger beachtet und die Vereinbarkeit der intra-EU-Verfahren mit Art. 344 und 267 AEUV schlicht akzeptiert. Wie Andrej Lang in einem Beitrag vor knapp einem Jahr schon einmal deutlich gemacht hat, darf man den Exklusivitätsanspruch des EuGH spätestens seit dem Gutachten zum EMRK-Beitritt der EU nicht mehr unterschätzen.
In Bezug auf Artikel 18 AEUV stellt sich mir allerdings die Frage, wie die Öffnung der Schiedsklausel eines BIT für Investoren aus europäischen Drittstaaten im Verhältnis zu den Parteien des BIT „sauber“ herzuleiten ist. Im deutschen Verfassungsrecht kennen wir ja beispielsweise die Ausdehnung des Art. 19 III GG gegen den Wortlaut auch auf innereuropäische juristische Personen seit BVerfGE 129, 78. Ein Schiedsgericht wird aber über seine Zuständigkeit selbst befinden. Dabei ist es nicht – wie ein mitgliedstaatliches Gericht – an den Anwendungsvorrang des Europarechts gebunden.
In Bezug auf das anwendbare Recht verweist nun bspw. Art. 8 Abs. 6 des im Achmea-Verfahren anwendbaren BITs auf „the provisions of this Agreement, and other relevant Agreements between the
Contracting Parties“. Im besten Fall sieht sich das Schiedsgericht dann in einem Spannungsfeld zwischen der wortlautgerechten Auslegung der Streitbeilegungsklausel des Vertrags und Art. 18 AEUV – und hat immer im Hinterkopf, dass es bei einer Überschreitung seiner Kompetenz einen nicht vollstreckbaren oder gar aufhebbaren Schiedsspruch erlässt. Ob ein Schiedsgericht in dem Fall wirklich die Klausel ausdehnt, wage ich zu bezweifeln. Ob dem EuGH allein die Möglichkeit, dass ein Schiedsgericht dies täte, ausreicht, kann man nur hoffen. In dem Fall hätten es die Schiedsgerichte im Nachhinein leichter, diesen Weg zu gehen – in der EU würden ihre Schiedssprüche zumindest nicht mehr aufgehoben.
Beste Grüße
Sebastian