Europäische Regulierung der Telekommunikationsmärkte

von KERSTIN TOBISCH

Die Regulierung der Telekommunikationsmärkte erfolgt in einem ausgefeilten System der Kooperation zwischen zahlreichen Akteuren. Die rechtlichen Regelungen dazu sind in Art. 7 und Art. 7a der Rahmenrichtlinie[1] für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste vorgegeben und in Österreich in § 129 TKG 2003 umgesetzt. Am Beispiel des Vetoverfahrens als Spezialfall des Koordinationsverfahrens zur Marktdefinition und Marktanalyse zeigt sich, wie komplex das Zusammenwirken der österreichischen Regulierungsbehörde mit den unionalen und den Akteuren der anderen Mitgliedstaaten ausgestaltet ist und welche positiven Aspekte sowie bislang noch nicht gelöste Probleme dies mit sich bringt.

Europäische Verwaltungskooperation

Die europäische Harmonisierung der Rechtssetzung bedingt ein „Zusammenrücken“ der Verwaltungen der Mitgliedstaaten mit dem Ziel, ein europäisches Vollzugssystem zu schaffen. Die Verwaltungen in den Mitgliedstaaten und die Verwaltungseinrichtungen der Union treten dabei nicht nur in Kontakt. Es kommt darüber hinaus zu wechselseitigen Verflechtungen aller beteiligten Verwaltungsorgane. Damit wird das bisherige Modell der direkten und indirekten Vollziehung von Unionsrecht ein gutes Stück weit aufgehoben und durch kooperatives Verwaltungshandeln in der Union abgelöst, das erst durch das Zusammenwirken mitgliedstaatlicher und unionaler Akteure einen bindenden Verwaltungsakt entstehen lässt.

Das Telekommunikationsrecht als Paradefall

Gerade im Bereich der Verwaltungskooperation ist das Telekommunikationsrecht ein Paradebeispiel. Vor allem in den Bereichen, die sich mit der Sicherung und Entfaltung effizienten Wettbewerbs auf dem Telekommunikationssektor beschäftigen, zeigte die Europäische Union schon früh Bestrebungen, aktiv auf eine Vereinheitlichung des Rechtsrahmens hinzuwirken. Durch ein im Laufe der Zeit immer differenzierter ausgestaltetes europäisches Rahmenregelwerk wurden Rechtsgrundlagen vereinheitlicht und das Verwaltungsverfahren unionsrechtlich ausgestaltet. Letzteres stellte die Vollziehung jedoch vor neue Herausforderungen, die zum Teil noch immer nicht bewältigt sind. Die Entscheidung, ob auf einem bestimmten Markt effizienter Wettbewerb herrscht oder ein bzw. mehrere Unternehmen diesen durch ihre Marktmacht verhindern und deshalb ein regulatorischer Eingriff nötig ist, trifft die nationale Regulierungsbehörde nicht alleine, sondern im Rahmen des sogenannten Koordinationsverfahrens unter Einbindung unionaler Akteure und Behörden anderer Mitgliedstaaten. Kennzeichnend für dieses Verfahren ist, dass hier Elemente horizontaler und vertikaler Kooperation verbunden werden. Bescheide werden von der Telekom-Control-Kommission (TKK), der zuständigen unabhängigen Regulierungsbehörde in Österreich, nicht autonom, sondern im materiellen und prozeduralen Zusammenspiel mit der Kommission, dem GEREK (Gremium Europäischer Regulierungsbehörden) und den nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten erlassen. In der Regel wird dabei von der nationalen Regulierungsbehörde zuerst ein Bescheidentwurf erarbeitet, welcher der Kommission, dem GEREK und den nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten notifiziert wird, die anschließend jeweils Stellungnahmen abgeben können, die von der nationalen Regulierungsbehörde bei ihrer Entscheidung weitestgehend zu berücksichtigen sind.

Das Vetoverfahren als Spezialfall

Ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Problemfelder, die sich durch diese Kooperationsmechanismen ergeben, ist das sogenannte Vetoverfahren. Dieses Verfahren kommt bei der Marktdefinition und Marktanalyse zum Tragen. Inhaltlich geht es um die Feststellung des räumlich und sachlich relevanten Marktes, beispielsweise für Breitbanddienste, und die Frage, ob auf dem definierten Markt effektiver Wettbewerb herrscht oder mehrere Unternehmen diesen durch ihre marktbeherrschende Stellung verhindern. Ist letzteres der Fall, sind dem marktbeherrschenden Unternehmen Regulierungsverpflichtungen, wie z.B. Transparenzverpflichtungen oder Netzzugangsverpflichtungen, aufzuerlegen. Herrscht ausreichender Wettbewerb, sind diese wieder aufzuheben.

Das Vetoverfahren ist dabei ein Anwendungsfall des telekommunikationsrechtlichen Koordinationsverfahrens. Im Gegensatz zum – ebenfalls im Rahmen der Marktdefinition und –analyse stattfindenden – Berücksichtigungsverfahren zeichnet sich das Vetoverfahren vor allem durch die hervorgehobene Rolle der Kommission aus. Diese kann den Regulierungsentwurf der nationalen Behörde unter weitestgehender Berücksichtigung der Stellungnahme des GEREK durch ihr Veto blockieren, sofern sie der Meinung ist, dieser sei mit dem Unionsrecht, insbesondere dem Binnenmarkt und den europäischen Regulierungszielen, unvereinbar. Die Regulierungsbehörde muss dann ihren Regulierungsentwurf längstens innerhalb von sechs Monaten zurückziehen bzw. ihn den im Veto enthaltenen Vorschlägen der Kommission entsprechend ändern, was allerdings eine neuerliche Koordination nach sich zieht. Auch die Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten können eine Stellungnahme zum nationalen Regulierungsentwurf abgeben. Diesen Stellungnahmen hat in Österreich die TKK als federführende Behörde ebenfalls weitestgehend Rechnung zu tragen.

Errungenschaften und Schwierigkeiten

Das europäische Telekommunikationsrecht hat hinsichtlich der Verwaltungskooperation Pionierarbeit geleistet. Die strenge Trennung bei der Aufgabenwahrnehmung nach hierarchischen Verwaltungsorganisationsstrukturen wurde aufgelockert, partiell sogar überwunden. Die Vernetzung zwischen den Verwaltungseinrichtungen der Mitgliedstaaten und jenen der Europäischen Union wurde im wirtschaftlich und technologisch wichtigen Bereich der Telekommunikation nicht nur in bemerkenswerter Weise vorangetrieben, sondern auf Vollzugsebene zugleich intensiviert. Das derzeitige System führt zu einer Stärkung des Informationsflusses und dient der Wahrung der Kohärenz und der Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte. Die Regulierung von Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten ist nicht nur eine rein nationale Angelegenheit und Aufgabe, sondern erfordert eine gesamteuropäische Betrachtung und ein ebensolches Konzept der Aufgabenwahrnehmung.

Das komplexe System horizontaler und vertikaler Kooperation wirft aber Fragestellungen auf, wie beispielsweise jene nach der rechtlichen Wirkung der Mitwirkungsakte im Vetoverfahren. Das Veto der Kommission ist ein Beschluss im Sinne von Art. 288 AEUV, der sich an die nationale Regulierungsbehörde richtet. Ob dadurch auch eine bindende Wirkung für ein unmittelbar betroffenes Unternehmen erzeugt wird, ist allerdings fraglich. Die Pflicht zur „weitestgehenden“ Berücksichtigung von Stellungnahmen, die an mehreren Stellen des Verfahrens statuiert ist, lässt sich schon weitaus schwieriger einordnen. Ist damit nur eine prozedurale Pflicht zur Kenntnisnahme umschrieben oder bringt der Terminus „weitestgehend“ vielleicht sogar eine weitergehende Bindungswirkung zum Ausdruck? Ebenso ungeklärt ist die Frage, auf welcher Ebene Verfahrensgarantien wie etwa Anhörungsrechte wahrzunehmen sind. Genügt es, wenn ein vom Ausgang des Verfahrens betroffenes Unternehmen von der nationalen Regulierungsbehörde gehört wird? Oder besteht zusätzlich noch die Notwendigkeit, auch seitens der Kommission Anhörungsrechte zu gewähren? Die eklatantesten Probleme sind aber im Rechtsschutz zu verorten. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten stehen einem vom Ausgang des Verfahrens betroffenen Unternehmen offen? Kann es nur den an ihn adressierten Regulierungsbescheid der nationalen Regulierungsbehörde bekämpfen? Oder besteht auch die Möglichkeit, direkt gegen das Veto der Kommission vorzugehen?

Fazit

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine eindeutigen und damit zufriedenstellenden Lösungen für Probleme im Zusammenhang mit dem Vetofahren.Während sich in Bezug auf die Umsetzung von Unionsrecht in nationales Recht bereits eine differenzierte Dogmatik entwickelt hat, mangelt es bei der Einordnung kooperativen Verwaltungshandelns in innerstaatliche (Verfahrens-)Strukturen nach wie vor an einer Systematik, die es erlaubt, neuartige Anforderungen im kooperativen Verwaltungsvollzug (wie etwa jene der „weitestgehenden Berücksichtigung“) innerstaatlich eindeutig zu verorten. Die angesprochenen Schwierigkeiten in der Ausgestaltung lassen sich ihren Grundsätzen nach auf die anderen Spielarten des Koordinationsverfahrens und auf andere Rechtsgebiete, in denen ebenfalls horizontale oder vertikale Verflechtungen existieren, übertragen. Es obliegt zunächst den Unionsgerichten, gegebenenfalls in Kooperation mit den mitgliedstaatlichen Gerichten, Antworten zu finden. Auf lange Sicht ist es notwendig, das Zusammenspiel der einzelnen Akteure klarer auszugestalten und Rechtsschutzkonzepte zu schaffen, die der Fortentwicklung hin zu einem europäischen Rechtsraum angemessen Rechnung tragen.

[1] Geändert durch RL 2009/140/EG, ABl L 337/37.

Europarecht, Kerstin Tobisch, Kooperation, Koordination, Österreich, österreichische Assitstententagung, Regulierung, Telekommunikation, Verwaltungsverbund, Vetoverfahren
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