von JASPER FINKE
Hat er oder hat er nicht? Gemeint ist unser Bundesinnenminister, seine Idee von einem Supersicherheitsgrundrecht und die Frage, ob er dessen Existenz propagiert oder nur seine Anerkennung gefordert hat. Eigentlich ist es jedoch egal. Denn auch die Forderung nach Anerkennung verdeutlicht, dass Herr Friedrich offensichtlich nicht allzu viel von der derzeitigen Verfassungsordnung hält. Um seine Verfassungstreue steht es also nicht besonders gut.
Schon die Behauptung, dass es ein Grundrecht auf Sicherheit gibt (von einem Supergrundrecht einmal ganz zu schweigen), ist schlicht falsch – zumindest sofern wir den Wortlaut des Grundgesetzes halbwegs ernst nehmen. Daran ändert auch das anderslautende Postulat prominenter deutscher Staatsrechtslehrer nichts. Vielleicht gingen die Eltern des Grundgesetzes tatsächlich davon aus, dass ein gewisses Maß an Sicherheit und Ordnung Voraussetzung jeglicher Staatlichkeit sei. Und angesichts der in der Weimarer Republik gemachten Erfahrungen kann man ihnen eine solche Perspektive kaum verübeln. Doch daraus lässt sich zumindest eines nicht ableiten: ein Grundrecht auf Sicherheit – einmal davon abgesehen, dass sich über diese axiomatische Grundlage von Staatlichkeit vortrefflich streiten lässt.
Dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gibt, heißt natürlich nicht, dass Sicherheitsaspekte kein berechtigtes staatliches Anliegen sind. So verfolgt der Staat mit Maßnahmen, die der Sicherheit seiner Bürgerinnen dienen, einen legitimen Zweck, der wiederum Ausgangspunkt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Dementsprechend lässt sich durch Verweis auf die Sicherheit ein Grundrechtseingriff rechtfertigen, vorausgesetzt er ist geeignet, erforderlich und angemessen. Entscheidend ist jedoch, dass das Sicherheitsargument, hübsch verpackt als „Effektivität der Gefahrenabwehr“, nicht zwangsläufig sticht, weil es gerade nicht auf einer kategorisch anderen Stufe steht. So lässt sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zwar berücksichtigen wie schwer die Sicherheitsbedenken wiegen. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen Aspekt in der Gewichtung der betroffenen Interessen im konkreten Fall und nicht um einen prinzipiellen Vorrang der Sicherheit vor der Freiheit und schon gar nicht um ein Grundrecht auf Sicherheit. Um Missverständnisse zu vermeiden: mit dieser Aussage will ich weder dem Sicherheitsstaat das Wort reden noch jegliche Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten delegitimieren. Die Aussage ist schlicht Ausdruck der Verhältnismäßigkeitssystematik und findet ihre Grenzen in dem, was wir als Wesensgehalt eines Grundrechts bezeichnen.
Sicherheit ist Trumpf?
Was soll also nun das Gerede von einem Supergrundrecht auf Sicherheit? Die unmittelbare Folge eines solchen Grundrechts liegt auf der Hand: Sicherheit sticht in jedem Fall. Das Anliegen des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen zu schützen, wäre nicht nur legitimes Ziel staatlichen Handelns, sondern höchstes Gut, dem sich jedes andere Interesse unterordnen müsste. Mit dem geltenden Grundgesetz ist das schlicht unvereinbar. Der Wesensgehalt eines Grundrechts wird irrelevant und die Bindung von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt an die Grundrechte aus Artikel 1 III GG zur Farce. Es ist aber nicht nur Artikel 1 III GG der in seiner Bedeutung unter die Räder zu kommen droht, sondern auch das einzige Supergrundrecht (um in der Diktion des Innenministers zu bleiben), das wir derzeit kennen: die Menschenwürde. Der Streit um die ursprünglich in § 14 III Luftsicherheitsgesetz enthaltene Abschussbefugnis von entführten Passagierflugzeugen, mit deren Hilfe Terroranschläge verübt werden sollen, verdeutlicht dies sehr anschaulich. Greift der Staat in den Menschenwürdegehalt ein, gibt es keine Rechtfertigung mehr. Kein legitimes Ziel, keine Sicherheitsbedenken können dies rechtfertigen.
Sicherheitssupergrundrecht als Grundrecht auf Freiheitsbeschränkung
Genau diese Systematik würde ein Supersicherheitsgrundrecht jedoch aushebeln. In der Vorstellung Friedrichs würde wohl nicht nur die Abwägungsfestigkeit der Menschenwürde beseitigt, sondern auch sie in ihrer Bedeutung der Supersicherheit untergeordnet. Die Überhöhung von Sicherheitsinteressen an sich ist zwar nichts Neues. So hat Frau Däubler-Gmelin diese Denkweise gestern in einem Beitrag für die SZ als „bösen Geist“ bezeichnet, der sein Unwesen in den Räumen des Innenministeriums treibt und von jedem amtierenden Innenminister Besitz nimmt.
Die Idee eines Supergrundrechts geht jedoch deutlich darüber hinaus. Denn Sicherheit und grundrechtlich geschützte Freiheit stehen einander antagonistisch gegenüber. Daran ändert auch die vertraute Formel „Freiheit durch Sicherheit“ nichts bzw. die Einkleidung des Sicherheitsarguments in die Schutzfunktion der Grundrechte. Auf der einen Seite steht die freiheitseinschränkende Sicherheit auf der anderen Seite die freiheitlichen Grundrechte. Würde es sich nicht um einen Antagonismus handeln, wäre eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit schlicht überflüssig. Die Abwägung setzt widerstreitende und damit gegensätzliche Interessen voraus. Indem man die Sicherheit jedoch in den Rang eines Supergrundrechts hebt, wird diese Gegensätzlichkeit aufgehoben. Jegliche Freiheitsbeschränkung im Namen der Sicherheit ist nun Ausgestaltung eines subjektiven Superrechts des Einzelnen. Mit anderen Worten: Jeder von uns hat ein einklagbares Recht auf seine eigene Freiheitsbeschränkung – was für ein Unsinn.
Sicherheitssupergrundrecht als Recht des Staates auf Intransparenz
Eine weitere Konsequenz des Sicherheitssupergrundrechts ist ein Recht des Staates auf Intransparenz und Geheimhaltung. Es ist wohl kein Zufall, dass Herr Friedrich seinen Supergrundrechtsphantasien im Kontext von Prism freien Lauf gelassen hat. Die dahinterstehende Sammelwut und das darin zum Ausdruck kommende staatliche Kontrollbedürfnis und pauschale Misstrauen sind schon für sich genommen beängstigend. Wesentlich für das Funktionieren dieser Programme ist jedoch, dass sie geheim bleiben. Wenn sie publik werden, sind sie zumindest langfristig weniger effizient, da gerade diejenigen, vor denen wir geschützt werden sollen, auf andere Kommunikationswege zurückgreifen oder aber ihre Kommunikation ausreichend verschlüsseln (falls sie dies nicht schon ohnehin tun). Die Intransparenz und Geheimhaltung ist also dieser Form von Sicherheit inhärent. Das bedeutet jedoch zwangsläufig, dass es sich bei dem Vorschlag von Friedrich der Sache nach um ein Supergrundrecht des Staates auf geheime Überwachung seiner Bürgerinnen in deren Namen handelt. Uns steht also nicht nur ein subjektives Superrecht auf unsere eigene Freiheitsbeschränkung zu. Wir haben sogar ein Recht darauf, dass diese vor uns geheim gehalten wird. Auch wenn der Ausdruck schon ein wenig abgegriffen ist: What a brave new world!
Sicherheit und Zeitgeist
Das Sicherheitssupergrundrecht, wie es dem Bundesinnenminister vorschwebt, ist mit dem derzeit geltenden Grundrecht nicht zu machen. Wollte man es im Grundgesetz verankern, verstieße es gegen die Ewigkeitsklausel und wäre nichtig. Warum also der Vorschlag? Am erträglichsten wäre noch die Vorstellung, dass es sich um eine unbedachte Äußerung eines unter Druck stehenden Politikers handelt. Man könnte darüber hinweggehen und auf bessere Zeiten hoffen. Es steht jedoch zu befürchten, dass mit dem Supergrundrechtsgerede ein strategisches Ziel verfolgt wird. Auch Friedrich kann kaum darauf hoffen, dass wir in absehbarer Zeit ein neues Sicherheitsgrundgesetz schaffen werden. Aber er kann versuchen, dem Sicherheitsdenken mehr Gewicht zu verleihen und die Konnotationen zu verändern. Schließlich hört es sich immer gut an, wenn sich ein Politiker für unsere Rechte einsetzt. Außerdem sollte man die informellen Auswirkungen solcher Äußerungen nicht unterschätzen. Grundrechte, von der Menschenwürde einmal abgesehen, sind abwägungsfähig und Abwägungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind immer auch Produkt des herrschenden Zeitgeists. Und wahrscheinlich geht es Herrn Friedrich genau darum: den Zeitgeist (noch weiter) zu verändern. Es wäre also falsch, den Vorschlag als juristischen Wahnwitz abzutun und deshalb nicht ernst zu nehmen.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Jasper,
ein sehr schöner Beitrag, der die ganze Idiotie eines „Supergrundrechts“ aufzeigt. Wichtig finde ich insbesondere, den letzten Hinweis, dass in die Verhältnismäßigskeitserwägungen immer auch ein Produkt des Zeitgeistes sind.
Mich würde interessieren, ob der Herr Friedrich – er kam ja gerade von seinem Sitzplatz am Kindertisch im Weißen Haus zurück – da evtl. irgendwas aus dem amerikanischen Recht mitgenommen und falsch verstanden hat. Gibt es dort einen Ansatz, an dem man evtl. ein „Supergrundrecht Sicherheit“ in irgendeiner Form – wenn auch mit Sicherheit nicht in dieser Ausprägung – festmachen könnte?
Moin Carsten,
die Situation in den USA ist leider nicht so eindeutig. Der Grundrechtskatalog der amerikanischen Verfassung (bill of rights) spiegelt z.B. die Bedürfnisse und Befürchtungen von 1791 wider und nicht die heutigen. Eines steht jedoch fest: Supergrundrechte gibt es auch dort nicht und schon gar nicht ein solches auf Sicherheit. Vielmehr ist die Debatte seit 9/11 von der Vorstellung geprägt, dass man in Zeiten einer existentiellen Bedrohung des Staates all diejenigen Maßnahem ergreifen kann und darf, die notwendig sind, um der Gefahr Herr zu werden. Für uns klingt das gefährlich nach Carl Schmitt und Ausnahmezustand. In den USA wird es unter dem Stichwort „emergency powers“ des US Präsidenten abgehandelt. Das führt natürlich faktisch und auch normativ zu einem Vorrang von Sicherheitserwägungen. Es ist aber konzeptionell nicht an ein Sicherheitsgrundrecht geknüpft, sondern an die Vorstellung, dass für die Dauer der Gefahr halt andere Regeln gelten. Dass auch diese Perspektive alles andere als unproblematisch und auch in den USA bei weitem nicht von allen geteilt wird, versteht sich von selbst.
Wie unterschiedlich die Debatten sind, zeigt sich auch daran, dass die gesamte Thematik in den USA nicht so verfassungsrechtlich aufgeladen ist. Dementsprechend plant dort mE auch niemand die Einführung eines neuen Grundrechts auf Datenschutz, sondern es wird als ausreichend erachtet, dass der Kongress ein Gesetz verabschiedet, dass dem NSA die Bespitzelung untersagt. Ich vermute aber einmal, dass sich ein solches Vorhaben, sollte es jemals Realität werden, nur auf die Überwachung U.S.-amerikanischer Staatsangehöriger bezieht.
Sorry, faengt der Rechtsstaat nicht seit Hobbes mit diesem Supergrundrecht an? Friedrich hat es auch nicht als erster gesagt. Meiner Erinnerung war es Otto Schily. Entgegen Bommarius und anderen, die schon genauso argumentiert haben, sagt dieser Ansatz ja nicht, dass die Grundrechte nichts wert sind, sondern an sich nur, warum es diese Grundrechte gibt. Der Staat schuetzt die Buerger nicht nur vor dem Staat, sondern vor allem vor anderen Buergern, jedenfalls im Rahmen des praktisch moeglichen. Dass die Grundrechte auch vor dem Staat schuetzen, kommt nur noch hinzu, mag es herkoemmlicher Dogmatik gemaess auch im Zentrum stehen..