von ANNA KOMPATSCHER

Meist wird eine Diskriminierung als Benachteiligung einer Person wegen der Anknüpfung an eine geschützte Kategorie verstanden, die nicht rechtfertigbar ist, so zum Beispiel in verschiedenen EU-Richtlinien und im AGG. Das EU-Recht enthält einige Nuancierungen, welches Verhalten als Diskriminierung gilt und demnach verboten ist.

Das Diskriminierungsverbot im EU- Primär- und Sekundärrecht

Auf EU-Ebene sind Diskriminierungsverbote insbesondere in Art. 21 Grundrechtecharta (GRCh) sowie in verschiedenen Antidiskriminierungsrichtlinien enthalten. Gemäß Art. 21 GRCh ist eine Diskriminierung dann verboten, wenn die Ungleichbehandlung an eine bestimmte Kategorie oder ein Merkmal anknüpft, welches einen „Schutzgrund“ darstellt. In Art. 21 Abs. 1 GRCh werden folgende Schutzgründe bzw. geschützte Kategorien genannt: „Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, ethnische oder soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, Religion oder Weltanschauung, politische oder sonstige Anschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt, Behinderung, Alter oder sexuellen Ausrichtung“. Art. 21 Abs. 2 GRCh und Art. 18 AEUV verbieten zudem Diskriminierung „aus Gründen der Staatsangehörigkeit“. Während die GRCh und die Verträge allgemein den Begriff „Diskriminierung“ verwenden, enthält das Sekundärrecht Definitionen konkreter Rechtsfiguren. Die Antidiskriminierungsrichtlinien enthalten einige, doch nicht alle der geschützten Kategorien, die Art. 21 GRCh aufzählt. In diesem Beitrag werden die Rechtsfiguren der Diskriminierung erläutert, die in den EU- Richtlinien enthalten sind oder vom EuGH entwickelt wurden. Dieser hat mit seiner Rechtsprechung den Diskriminierungsbegriff immer wieder erweitert.

Unmittelbare Diskriminierung als erster Anker des europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Schutzes

Das EU-Recht definiert unmittelbare oder direkte Diskriminierung als eine Schlechterstellung einer Person wegen Anknüpfung an die oben genannten geschützten Kategorien. Konkret bedeutet dies, zumindest nach den Antidiskriminierungsrichtlinien, dass eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn jemand eine „weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“ aufgrund der „Angehörigkeit“ zu einer der jeweils geschützten Kategorien. In der Rs. Feryn hat der EuGH entschieden, dass eine direkte Diskriminierung auch vorliegt, wenn keine bestimmten Betroffenen einer Diskriminierung identifiziert werden können, sondern eine ganze Personengruppe von vornherein diskriminierend ins Visier genommen wird. In dem konkreten Fall kündigte ein Arbeitgeber an, er werde keine Person fremder Herkunft anstellen, womit betroffene Menschen bereits davon abgehalten wurden, überhaupt eine Bewerbung einzureichen.

Ausschlaggebend für die Feststellung einer Diskriminierung ist somit die Vergleichbarkeit mit einer anderen Person in der gleichen Situation. Dabei ist eine vergleichbare Person („comparator“) eine reale oder hypothetische Person, die in einer vergleichbaren Position ist, jedoch die geschützte Kategorie nicht in der diskriminierten Ausprägung verwirklicht. Inzwischen hat der EuGH anerkannt, dass in bestimmten Fällen keine Vergleichbarkeit vorliegen muss, um eine Diskriminierung feststellen zu können. Wenn jemand etwa aufgrund einer Schwangerschaft benachteiligt wird, braucht es keine vergleichbare Person, um eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aufzudecken, so der EuGH in der Rs. Dekker.

Mittelbare Diskriminierung als flankierender Schutz

Nach dem EU-Sekundärrecht liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen aufgrund einer geschützten Kategoriezugehörigkeit in besonderer Weise benachteiligen können. Diese Art von Diskriminierung bezieht sich also auf die unterschiedlichen Auswirkungen, die eine scheinbar neutrale Norm auf kategorial geschützte Personen haben kann. Dabei hat sich der EuGH damit beschäftigt, ob es konkret negative Auswirkungen für das Diskriminierungsopfer braucht oder ob die Möglichkeit solcher negativen Auswirkungen ausreicht. In der Rs. O’Flynn befand der EuGH, dass es ausreicht, wenn eine Norm das Potenzial hat, sich insbesondere negativ auf Wanderarbeiter*innen auszuwirken, unabhängig von den tatsächlichen Folgen der Norm. Dabei ist der mittelbare Diskriminierungsschutz insbesondere von Bedeutung, da er an ein materielles Gleichheitsverständnis anknüpft, wonach nicht alle Personen und Personengruppen auf die gleiche Art von allgemeinen Regeln betroffen sind.

Verhältnismäßigkeit und Rechtfertigungsgründe von Ungleichbehandlung

Während unmittelbare Diskriminierung in der Regel verboten ist, kann eine mittelbare Ungleichbehandlung erlaubt sein, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Dabei untersucht der EuGH regelmäßig, ob es angemessene und weniger restriktive Mittel zur Erreichung der verfolgten Ziele gäbe, um feststellen zu können, ob die Ungleichbehandlung diskriminierend ist. Die Ungleichbehandlung muss also verhältnismäßig sein. Die Antidiskriminierungsrichtlinien erkennen ausdrücklich einige spezifische Rechtfertigungsgründe an, so etwa die Ausnahmeregelungen in Verbindung mit religiösen Einrichtungen oder auf der Grundlage des Alters in der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG).

Diskriminierung durch Assoziierung

Eine weitere Rechtsfigur, die vom EuGH entwickelt wurde, erfasst Situationen, in denen die geschützte Kategorie nicht die direkt diskriminierte Person selbst, sondern eine ihr nahestehenden Person betreffen. In der Rs. Coleman etwa ging es um eine Mutter, die am Arbeitsplatz diskriminiert wurde, weil ihr Kind eine Behinderung hatte. Diskriminierung durch Assoziierung kann auch mittelbar erfolgen, wie der EuGH in der Rs. CHEZ RB klarstellte.

Belästigung und Anweisungen zur Diskriminierung

Die Antidiskriminierungsrichtlinien bezeichnen Belästigungen als unerwünschte Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit der Diskriminierungskategorie stehen und den Zweck haben, die Würde der diskriminierten Person zu verletzten. Dazu gehören Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen. Im EU-Recht wird Belästigung wie eine besondere Form der unmittelbaren Diskriminierung behandelt. In der oben genannten Rs. Coleman ging es um Belästigung am Arbeitsplatz. Die Antidiskriminierungsrichtlinien verbieten zudem auch die Anweisung zur Diskriminierung einer kategorial geschützten Person als Diskriminierung.

Hassrede und Hassverbrechen

Hassrede und Hassverbrechen wurden im Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates definiert. Dieser sieht vor, dass Mitgliedstaaten gewisse Handlungen wie das Anspornen zu Gewaltverbrechen, die rassistisch begründet sind, oder die Verbreitung rassistischer Dokumente unter Strafe zu stellen. Bei Hassrede handelt es sich um öffentliche Äußerungen, die zum Hass anspornen soll, gegenüber Menschen in Anknüpfung an eine geschützte Kategorie. In der Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU wurden die Opfer von Hasskriminalität und von in diskriminierender Absicht begangenen Straftaten als besonders schützenswert genannt, die im Zusammenhang mit persönlichen Merkmalen stehen.

Ausblick: Diskriminierung und Intersektionalität

Das allgemeine Diskriminierungsverbot im EU-Primärrecht wurde also nach und nach in verschiedenen Richtlinien sowie der Rechtsprechung des EuGH genauer definiert. Das EU-Recht erkennt heute verschiedene Arten von Diskriminierung an; und je nach Einordnung einer Diskriminierung ändern sich die Prüfungsmaßstäbe der Gerichte. Diskriminierungen sind oft nicht auf einen einzige Diskriminierungskategorie zurückzuführen. Multiple gleichzeitig vorliegende Kategorien können zu neuen Arten von Diskriminierung führen. So ist die Diskriminierungserfahrung von Schwarzen Frauen oft eine ganz andere als jene von Weißen Frauen oder Schwarzen Männern. In der Rs. Parris v. Trinity College Dublin and Others war der EuGH mit intersektionaler Diskriminierung aufgrund des Alters und der sexuellen Orientierung konfrontiert. Der EuGH hat freilich die geschützten Kategorien einzeln betrachtet und nicht in ihrer spezifischen Verschränkung. Mit der regen Rechtsprechungstätigkeit des EuGH wird sich das EU-Antidiskriminierungsrecht auch in Zukunft weiter entwickeln – gerade ein intersektionaler Blick auf Diskriminierung wird dabei aber noch mehr gefordert sein.

 

Zitiervorschlag: Kompatscher, Anna, Facettenreiches Antidiskriminierungsrecht: Diskriminierungsverbote im EU-Recht, JuWissBlog Nr. 42/2022 v. 28.07.2022, https://www.juwiss.de/42-2022/.

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Dario Mathys
    23. März 2023 13:51

    Sehr geehrte Frau Kompatscher,

    Vielen Dank für den spannenden Beitrag. Wie sieht es mit der Ungleichbehandlung zwischen ukrainischen und syrischen Schutzsuchenden in der EU aus? Erstere erhalten durch die MassenzustromRL (2001/55/EG ) einen privilegierten Schutzstatus und können legal in die EU einreisen, während zweitere „nur“ einen subsidiären Schutz erhalten. Die mit dem jeweiligen Status verbundenen Rechte differieren erheblich. Wie schätzen Sie dies aus Antidiskriminierungsrechtlicher Sicht ein?

    Steht diese Ungleichbehandlung nicht in Widerspruch mit primärrechtlichen Normen, z.B. Art. 20 und 21 der GRch, oder z.B. auch der RL 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethni-
    schen Herkunft?

    Ich freue mich auf Ihre Einschätzung.

    Mit freundlichen Grüssen

    Dario Mathys

    Antworten

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