Von OLAF KOWALSKI
Während vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im vergangenen Mai unter dem Begriff „Bots“ vermutlich eher die Sorge vor politisch manipulativen Programmen auf sozialen Netzwerken grassierte (auf dem JuWissBlog dazu bereits etwa hier, hier und hier sowie auch andernorts), führen nunmehr kleine Italiener unter der Bezeichnung „Mini BOT“ zu nicht weniger sorgenvollen Mienen europäischer Funktionäre. Sie schaffen Unruhe auf den Kapitalmärkten und bevölkern die Kommentarspalten deutscher wie italienischer Zeitungen, die vor den „Mini-Monstern“ warnen. Doch worum handelt es sich genau? Und besteht auch europarechtlicher Anlass zur Sorge?
BOT-Bargeld und Parallelwährungspolitik
Diesmal verbergen sich hinter der niedlichen Bezeichnung BOT keine künstlich intelligenten „Roboter“, sondern „Buoni Ordinari del Tesoro“ (wörtlich in etwa „gewöhnliche Schuldscheine der Staatskasse“, sinngemäß Schatzanweisungen). Unter dem Begriff „Mini BOT“ werden nun italienische Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten von drei, sechs oder zwölf Monaten und mit geringen, eben „Mini“-Nennwerten („titoli di Stato di piccolo taglio“) diskutiert, etwa fünf, zehn, zwanzig oder auch bis zu fünfhundert Euro, die als physische Scheine gedruckt und in allgemeinen Umlauf gebracht werden sollen. Wer sich angesichts dieser Zahlen verdächtig an die bekannten Stückelungen der umlaufenden Euro-Banknoten erinnert fühlt, geht volkswirtschaftlich bereits in die richtige Richtung: Auch Banknoten stellen eine Art Schuldschein dar, eine verkörperte Verbindlichkeit der emittierenden Zentralbank, in der Eurozone also der EZB – plastisch verbürgt durch die Signatur ihres Präsidenten Mario Draghi oben links auf der Vorderseite jeder Euro-Banknote. Und zumindest ökonomisch fungiert als bares Geld – also verkörperte Wertträger, auch Geldzeichen genannt – alles, was im Wirtschaftsverkehr mit allgemeiner Akzeptanz und zivilrechtlicher Erfüllungswirkung rechnen darf.
Erste Gedankenspiele zur Einführung von „Mini BOT“ rühren bereits aus dem Jahr 2017. Unter anderem die Forza Italia Silvio Berlusconis erwägte sie als ersten Schritt, einen (rechtlich bekanntlich nicht geregelten) Austritt Italiens aus der Europäischen Währungsunion volkswirtschaftlich vorzubereiten. Ihr geistiger Vater, der Lega-Ökonom Claudio Borghi, bekennt sich ebenso offen zu diesem Ziel. Eine zum Euro parallele, nationale Währung, so die Idee auch schon vorher mit Blick auf Griechenland, sollte die italienische Wirtschaft per Stichtag kurzerhand auf neues Geld unter der alten Bezeichnung „Lira“ umstellen sowie mit entsprechenden in „Mini BOT“ verkörperten Zahlungsmitteln versorgen. Zunächst im Umtauschverhältnis 1:1 zum Euro gehandelt, würde damit anschließend eine gegenüber der Währungsunion renationalisierte Geldpolitik ermöglicht, namentlich die Abwertung gegenüber dem Euro zwecks Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und vor allem zur Schuldentilgung der öffentlichen Hand, wie jedenfalls hiesige Ökonomen kritisch anmerkten. Zum Versuch kam es damals nicht, aber die Forderung fand 2018 Eingang in den Koalitionsvertrag (S. 21) der Regierung von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega.
Gerechtigkeitsfragen?
Nun bringt deren Innenminister Matteo Salvini das Konzept zur Abwendung drohender Sanktionen im Rahmen eines möglichen Defizit-Verfahrens nach Art. 126 AEUV wieder ins Spiel. Ihm folgte kürzlich seine Fraktion (zunächst mit der inzwischen zurückgezogenen Unterstützung der oppositionellen Sozialdemokraten) auch im Wege eines Antrages in das römische Abgeordnetenhaus (a. E., Nr. 1 b). Ob Salvini nun ernst oder nicht doch eher populistisch, nicht zuletzt gegen Deutschland, Kasse machen will, scheint noch offen. Man könne doch „über den Vorschlag diskutieren“, immerhin handele es sich „um eine Frage der Gerechtigkeit“. Diesmal sollten „Mini BOT“ zumindest vordergründig für die Tilgung von inländischen öffentlichen Schulden bei privaten Unternehmen in Höhe von rund 50 Milliarden Euro genutzt werden, der italienische Staat sich also letztlich aus eigener Hand refinanzieren. Daneben sollten allerdings auch die Bürger ihre Steuern gegenüber dem Staat in BOT entrichten können. Massive Kritik aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft folgten umgehend, allen voran von Landsmann Draghi, der den Schritt – sofern es sich bei „Mini BOT“ um Zahlungsmittel bzw. Geld handeln solle – umgehend für „illegal“ erklärte (hier ab Minute 31:00). Andernfalls seien es bloß weitere Schuldtitel, die am Defizit des italienischen Staates nichts änderten. Dieser Einschätzung schloss sich auch Salvinis parteiloser Ministerkollege für Wirtschaft und Finanzen Giovanni Tria an und leugnete entsprechende Pläne seines Ministeriums. Ähnlich verlautete es schließlich aus dem Quirinalspalast durch Minister(rats)präsident Giuseppe Conte, dem Kritik an dem Lega-Vorschlag „als Jurist evident“ scheint. Was ergibt sich aber nach dem vermeintlichen ökonomischen Können nun juristisch für die „Mini BOT“?
Rechtsantworten
Das rechtliche Dürfen lässt sich zumindest für das Währungsrecht ohne Fragezeichen beantworten. Zwar kann privatautonom eine Vielzahl vertraglicher Erfüllungsmodalitäten vereinbart werden – allerdings eben durch Private und in Rechtsverhältnissen des Privatrechts. Die gesetzliche Einführung eines neuen, allgemeinen Zahlungsmittels durch den Staat – sei es durch das Wirtschaftsministerium oder die nationale Zentralbank – ruft dagegen eine andere (primärrechtliche) Hausnummer auf den Plan, seit die Währungspolitik der Mitgliedstaaten des Euro in die ausschließliche Zuständigkeit der Union übergegangen ist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Die zentrale institutionelle Rolle kommt dabei gem. Art. 127 Abs. 2 AEUV dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) zu. Und nach Art. 128 Abs. 1 S. 3 AEUV sind „die von der EZB und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten […] die einzigen, die in der Union als gesetzliches Zahlungsmittel gelten“ und damit auch gesetzlichen Annahmezwang genießen, was in Art. 10 S. 2 der Verordnung (EG) 974/98 über die Einführung des Euro („Euro-VO“) wiederholt wird. Bei dem nicht gänzlich konturenscharfen Begriff „gesetzliches Zahlungsmittel“ handelt es sich nicht etwa um ein bloßes Privileg gegenüber anderen möglichen Zahlungsmitteln. Vielmehr statuiert er, ähnlich einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, dass ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung jedenfalls der Gebrauch anderer (beispielsweise privater) Banknoten – ob in Euro lautend oder nicht – vor dem Europarecht grundsätzlich ungesetzlich, mithin verboten ist (vgl. auch § 35 Bundesbankgesetz). Der ebenso verbindliche italienische Wortlaut ist hier etwas klarer und spricht vom alleinigen „corso legale“ der Euro-Banknoten (legalem Umlauf).
Erst Recht gilt dies, sofern die Emission paralleler Banknoten durch eine Zentralbank – im hiesigen Fall die Banca d’Italia – erfolgen sollte, die Mitglied im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) und damit an den AEUV sowie an die Weisungen und Beschlüsse der EZB gebunden ist. Nur dieser kommt im Rahmen des Art. 128 Abs. 1 S. 1 AEUV die „monopolistische“ Kompetenz zur Genehmigung der Ausgabe von Euro-Banknoten zu. Auch hier ist der Begriff „Euro-Banknoten“ weiter zu verstehen und umfasst alle Banknoten, die von einer nationalen Zentralbank des ESZB ausgegeben werden. Und auch die notorische Debatte um Umgehungen des Verbotes monetärer Staatsfinanzierung nach Art. 123 Abs. 1 AEUVlässt grüßen. Mit anderen Worten: Die einen wie auch immer gearteten Austritt aus dem Euro „vorbereitende“ Emission paralleler Banknoten – ob in Euro notiert oder in Lira – im nationalen Alleingang durch eine Euro-Zentralbank birgt einige Verstöße gegen europäisches Primärrecht.
Die EZB könnte im Rahmen ihrer Weisungsbefugnis nach Art. 14.3 S. 1 der ESZB-Satzung der Banca d’Italia die Emission von „Mini BOT“ und jegliche Mitwirkung an entsprechenden Plänen der Regierung untersagen. Für den Fall der Zuwiderhandlung steht ihr auf Grundlage von Art. 271 Abs. 1 Buchst. d AEUV der Weg zum EuGH offen, eine Verletzung ihrer ausschließlichen Zuständigkeit aus Art. 128 Abs. 1 S. 1 AEUV zu rügen. Nach dem schnellen Verdikt Draghis, des Mannes, der die normative Kraft des Faktischen seiner Stellungnahmen gewohnt ist, ist dieses Mal (womöglich anders als für frühere, ähnliche Äußerungen) tatsächlich auch rechtlich rasche Klärung möglich. Auf die EZB als Käufer und „lender of last resort“ für die Mini-Anleihen braucht Salvini jedenfalls ohnehin nicht zu hoffen – und die Mini-Monster sind zumindest ökonomisch und juristisch auf mikroskopisches Format zurechtgestutzt.
Zitiervorschlag: Olaf Kowalski, Parallelwährung „Mini BOT“: Großer Ärger mit kleinen Italienern? JuWissBlog Nr. 74/2019 v. 25.6.2019, https://www.juwiss.de/74-2019/
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