Der EuGH liefert „Grundrecht auf Sicherheit“ in Neuauflage

von GABRIELE BUCHHOLTZ

Gabriele_Buchholtz_Foto_swEuropa ist verunsichert. Neben der Flüchtlingskrise macht vor allem die latente Terrorgefahr Angst. In dieser angespannten Lage erscheint die Entscheidung des EuGH vom 15. Februar 2016 (C-601/15 PPU) zum Grundrecht auf Sicherheit wie eine friedvolle Verheißung. Sicherheit in Sicht, mag der geneigte Leser aufatmen. Doch der Schein trügt. Bereits die Vergangenheit lehrt: Weder Staatsrechtler noch Superminister waren in der Lage, ein Sicherheitsgrundrecht zu schaffen. Kann der EuGH mehr? Wohl kaum, so die hier vertretene Ansicht. Wie die Entscheidung des EuGH in Zeiten der Krise und übereilter Sicherheitsgesetzgebung zu bewerten ist, wird im Folgenden dargestellt.

Die Entscheidung des EuGH in Kürze

Der zugrundeliegende Fall spielte in den Niederlanden. Dort befand sich der Kläger wegen zahlreicher Straftaten in Haft. Er hatte mehrere erfolglose Asylanträge gestellt, zuletzt während seiner Haft. Nach deren Ende wurde er als Asylsuchender sofort in Gewahrsam genommen – und zwar auf Grundlage einer nationalen Vorschrift, die in Umsetzung der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ergangen war. Art. 8 Abs. 3 lit. e) dieser Richtlinie lässt ausnahmsweise die Inhaftierung von Asylsuchenden zu, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Laut EuGH diene diese Vorschrift dem Gemeinwohl und verfolge einen legitimen Zweck. Im Weiteren heißt es nun – und darin liegt die entscheidende Aussage des EuGH: Nach Art. 6 der EU-Grundrechtecharta (GRC) habe jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit – oder besser im Originalwortlaut, wo es so schön heißt: „[L]’article 6 de la Charte énonce le droit de toute personne non seulement à la liberté, mais également à la sûreté.“ (Rn. 53) Um den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des asylsuchenden Klägers zu rechtfertigen, hat sich der EuGH ebendieses Grundrechts auf Sicherheit bedient und befunden, dass Art. 8 Abs. 3 lit. e) der Richtlinie den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genüge. Insbesondere trage eine einschränkende Auslegung der Begriffe „nationale Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ der besonderen Bedeutung des eingeschränkten Freiheitsgrundrechts ausreichend Rechnung.

Das Grundrecht auf Sicherheit – alter Wein in neuen Schläuchen

Ganz nonchalant hat der EuGH der europäischen Grundrechtsordnung mit der vorliegenden Entscheidung ein „Grundrecht auf Sicherheit“ untergejubelt. Die Wortwahl ist bemerkenswert, weil man bisher davon ausgegangen ist, dass Schutzgut des Art. 6 GRC allein die körperliche Bewegungsfreiheit sei, während der „Sicherheit“ nur eine flankierende (Rechtsschutz-)Funktion zukomme. Diese Interpretation stützt sich weitgehend auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK, der die Sicherheit im selben Atemzug wie die Freiheit nennt, ohne der ersteren einen eigenständigen Gewährleistungsgehalt zu verleihen. Das neue Urteil des EuGH scheint also revolutionär. Zu Recht darf jetzt allerdings ein Störgefühl auftreten. Denn tatsächlich ist dieses Grundrecht auf Sicherheit nicht wirklich neu. Bereits im Urteil zur Nichtigkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie (C-293/12 und C-594/12) hat der EuGH dieses Grundrecht auf den Plan gerufen. Es hieß unter Rn. 42 der damaligen Entscheidung, dass nach Art. 6 GRC jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit habe. Trotzdem lehnte der EuGH – anders als in der aktuellen Entscheidung – die Freiheitsbeschränkung durch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung als zu weitgehend ab.

Geht man auf dem Zeitstrahl noch ein paar Jahre weiter zurück, begegnet man diesem Grundrecht auf Sicherheit erneut – gleich zweimal. Zuerst 1982: In einem denkwürdigen Vortrag warf Josef Isensee die umstrittene These auf, dass Sicherheit ein eigenständiges Grundrecht sei. Allerdings relativierte er die Brisanz dieser Aussage gleich wieder: „Es ist (…) ausgeschlossen, daß jedermann in jeder Gefahrenlage unmittelbar aus den grundrechtlichen Schutzpflichten den Anspruch auf eine bestimmte Schutzmaßnahme ableiten und einklagen kann. Den Schutzpflichten des Staates korrespondieren nicht durchgehend Schutzrechte des Bürgers.“ (J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 49 f.). Schnell wird klar, dass es sich bei diesem Grundrecht auf Sicherheit alla Isensee eher um einen semantischen Kunstgriff als ein subjektives Recht handelt. So wurde es bald wieder still um das Grundrecht auf Sicherheit, bis es der ehemaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich im Zuge des NSA-Skandals 2013 erneut auf das politische Tableau brachte und sich damit – nicht ohne Häme – den Titel „Superminister“ einbrachte. Das vermeintliche Supergrundrecht stieß auf erhebliche Kritik und die Friedrich´sche Idee verpuffte wieder. Nun hat sich jüngst der EuGH ebendieses Vokabulars erneut bediente. Fest steht damit: So „verbraucht“ die Idee von einem Grundrecht auf Sicherheit auch sein mag, die Entscheidung des EuGH verlangt nach einer erneuten Auseinandersetzung. Was hat es also auf sich mit diesem Grundrecht auf Sicherheit und welche Kräfte beschwören es immer wieder herauf?

Das Grundrecht auf Sicherheit – mehr Fluch als Segen

Mit seiner Wortwahl liefert der EuGH erheblichen Zündstoff. Denn streng genommen müsste ein „Grundrecht auf Sicherheit“ auch subjektiv einklagbar sein. Dann könnte ein Bürger den Gesetzgeber für konkrete Maßnahmen in die Verantwortung nehmen und gar sicherheitspolitische Maßnahmen der EU einklagen. Was aber wäre dann mit dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers? Dieser würde erheblich beschnitten. Will man so weit nicht gehen, könnte man diesem Grundrecht auf Sicherheit jedenfalls eine objektiv-rechtliche Dimension entnehmen. Aber auch bei dieser Interpretation wären die Folgen verheerend. Dann stünden Grundrechtseingriffe durch sicherheitspolitische Maßnahmen quasi im Ermessen des Staates. Die grundrechtliche Abwehrfunktion der Freiheitsrechte verlöre an Bedeutung, wenn sich jeder Eingriff auf Sicherheitsinteressen stützen ließe – zumal stets unklar ist, welchem Zweck diese Sicherheit dienen soll. Was soll das Grundrecht auf Sicherheit denn sichern? Etwa sich selbst? Hier droht das Grundrecht auf Sicherheit zum Selbstzweck zu avancieren.

Schnell wird deutlich, dass es ein Supergrundrecht nicht geben kann. Auch der EuGH dürfte mit dem Grundrecht auf Sicherheit nichts anderes gemeint haben als die staatliche Schutzpflicht, die sich – so ja auch Isensees Auffassung – im Rahmen des Untermaßverbots entfaltet. Der Hinweis des EuGH auf die einschränkende Auslegung der „nationalen Sicherheit“ und der „öffentlichen Ordnung“ bestätigt diese restriktive Lesart. Ebenso lindert die englische Sprachfassung der Entscheidung, wo von „security of person“ statt bloß „sûreté“ die Rede ist, die Sorgen, dass der EuGH ein umfassendes Sicherheitsgrundrecht hat schaffen wollen. Inwieweit der Bürger auf konkrete Maßnahmen tatsächlichen einen Anspruch haben soll, lässt der EuGH unbeantwortet. Die Rechtsprechung ist hier mit Spannung zu erwarten. Jedenfalls wäre ein solches Grundrecht auf Sicherheit – im weitesten Wortsinn – mit unserem Rechtsstaatsverständnis und den wesentlichen Grundrechtsfunktionen unvereinbar.

Längst aufgegeben ist das Hobbes´sche Staatsverständnis vom absoluten Souverän, der seine Legitimation einzig daraus herleitet, die „wilde Meute“ in Zaum zu halten. Nicht weit entfernt von einem solchen Verständnis wäre allerdings ein Grundrecht auf Sicherheit, das der Sicherheit gegenüber den Freiheitsrechten einen Selbstzweck verleiht. Nach heutiger Auffassung ist es nicht mehr der absolute „Leviathan“, sondern der zurückgenommene Rechtsstaat, der die bürgerliche Freiheit sichert. Auch das Grundgesetz erkennt eine staatliche Schutzpflicht an, aber allein zur Freiheitssicherung. Ihre Berechtigung hat Sicherheit also nur da, wo sie der Freiheitssicherung dient. Sicherheit darf nicht gegen Freiheit und Freiheit nicht gegen Sicherheit verwendet werden. Zugleich gibt es Sicherheit nicht um jeden Preis und ihre Mittel müssen verhältnismäßig sein. Stets ist ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen Sicherheitsmaßnahmen und den eingeschränkten Freiheitsrechten erforderlich. Der Rechtsstaat verleugnet sich selbst, wenn er einseitig auf Sicherheit abstellt.

Die Entscheidung im Angesicht des Terrors

Vielleicht ist es aber auch kein Zufall, dass der EuGH gerade in Zeiten des Terrors das Grundrecht auf Sicherheit wieder ausgegraben hat – quasi als Argumentationsfigur für Terrorabwehrmaßnahmen. Auch der Rückblick in die Vergangenheit offenbart, dass der Ruf nach diesem Supergrundrecht immer dann besonders laut wurde, wenn Angst oder Bedrohung herrschten. Überhaupt liegen Sicherheitsmaßnahmen derzeit im Trend. Man schießt gegen den Terror mit Überwachungsmaßnahmen, Rasterfahndungen, Online-Durchsuchungen und Terrorlisten und diskutierte jüngst auch eine Bargeldobergrenze. Sowohl der Nutzen dieser Maßnahmen als auch deren Verfassungskonformität ist im Einzelfall fraglich – jedenfalls aber dringend diskussionswürdig.

Auch Frankreich reagierte drastisch auf die tragischen Anschläge vom November 2015 und erklärte den Ausnahmezustand, der mittlerweile bis Ende Mai verlängert ist. Dieser Zustand erlaubt eine umfassende Einschränkung von Bürgerrechten etwa durch Demonstrationsverbote, Ausgangssperren, Sicherheitszonen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Hausarreste ohne Richterbeschluss. Vor allem unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestehen hier große Bedenken. Es verwundert also nicht, dass die Regelungen bei Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty International auf erhebliche Kritik gestoßen sind.

In all diesen Fällen geht es um eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, die umso stärker zu Gunsten der letzteren ausfällt, je größer die Angst vor Bedrohung ist. Das ist zwar nachvollziehbar, aber nicht immer sinnvoll. Sicherlich erfordert gerade der Terror staatlichen Schutz. Doch müssen sich die einzelnen Maßnahmen unbedingt als verhältnismäßig erweisen. Andernfalls bietet der Rechtsstaat dem Terror gleich in zweifacher Hinsicht eine Angriffsfläche und opfert sich letztlich selbst. Auch das Grundrecht auf Sicherheit ist kein probates Mittel, weil es die rechtsstaatliche Balance zu Lasten der Freiheit verschiebt und damit selbst – nämlich von innen heraus – zu einer Bedrohung des Rechtsstaats werden kann.

Wie den Balanceakt aushalten?

Mit jeder neuen Bedrohung ist der Rechtsstaat herausgefordert, das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit wieder auszutarieren. Erschwerend kommt hinzu, dass der Terror ein internationales Problem ist und an den Grenzen des Rechts nicht Halt macht. Was kann der einzelne Verfassungsstaat tun, um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu halten?

Zunächst gilt: Ohne Sicherheit keine Freiheit. Denn wenn der Frieden gestört ist, schwindet auch das Vertrauen der Bürger in den Staat. Der ersten Aussage ist aber notwendig hinzuzufügen: Keine Sicherheit um ihrer selbst willen! Den Rechtsstaat trifft nicht die Pflicht, dem Bürger ein allgemeines Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Sicherheit kann sich nur im Rahmen des Untermaßverbots aktualisieren. Zugleich müssen sich Grundrechtseingriffe durch staatliche Sicherheitsmaßnahmen am Verhältnismäßigkeitsprinzip messen lassen. Wo hingegen Sicherheit zum Selbstzweck wird, verleugnet sich der Rechtsstaat.

Es bleibt also bei dem (nur scheinbar) paradoxen Befund, dass der wehrhafte Staat um der Freiheit Willen verletzlich ist und zugleich seine Wesensbedingung – die Freiheit – nicht umfassend schützen kann. Vielleicht aber liegt in dieser Verletzlichkeit gerade eine Stärke, die sich in den schwächsten Momenten besonders entfalten kann – dann nämlich, wenn sich der Rechtsstaat seiner rechtsstaatlichen Mittel bedient. Dazu gehören transparente Entscheidungsprozesse und ein offenes Kommunikationsverhältnis zwischen Staat und Bürger. Nur eine informierte Bevölkerung kann Vertrauen aufbauen. Zugleich ist das Engagement der Bürger gefragt, für ihre freiheitlich-demokratischen Ideale einzustehen. Während eine übereilte Sicherheitsgesetzgebung Ängste eher schürt, stärkt politische Teilhabe das Vertrauen der Bevölkerung. Was die Sicherheitsgesetzgebung anbelangt, ist ebenfalls Transparenz und Gründlichkeit gefragt. Insbesondere sollte der Gesetzgeber nur auf gesicherter Informationsgrundlage agieren und vermeintliche Sicherheitsmaßnahmen nicht ins Blaue hinein treffen. Und jedenfalls muss das legitime Ziel stets klar formuliert sein – geleitet von der Frage, ob eine Maßnahmen tatsächlich Sicherheit bringt oder nur eine angstgeleitete Panikreaktion darstellt. Schließlich kann Sicherheit nur gewährleistet werden, wenn auch diejenigen Ursachen identifiziert und beseitigt werden, die den Terrorismus gedeihen lassen.

Zum Schluss: Was als Sicherheitsversprechen verheißungsvoll daherkommt, kann auch gefährlich sein. Der Rechtsstaat sollte sich auch in Zeiten des Terrors auf seine ureigenen Werte besinnen. Er verfügt über zahlreiche Selbstheilungskräfte, die er aktivieren und nutzen kann.

Art. 6 Grundrechte-Charta, EuGH, Gabriele Buchholtz, Recht auf Sicherheit, Rechtsstaat, Terrorismusbekämpfung
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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Soviel Pedanterie muß sein: Der Originalwortlaut des Beschlusses ist Niederländisch (wo es so schön heißt: „Wat dat aangaat, bepaalt artikel 6 van het Handvest dat eenieder niet alleen recht heeft op vrijheid, maar ook op veiligheid“). Warum der Beschuß der Großen Kammer (!) noch nicht auf deutsch vorliegt, steht in den Sternen.

    Generalanwalt Bot hat die Argumentationslinie aufgegriffen in einem Vorlageverfahren, das vom OLG Bremen ausgeht (https://dejure.org/2016,3055). Sie ist dabei, sich zu verfestigen.

    Antworten
  • Benjamin Rusteberg
    7. März 2016 14:54

    „Jedenfalls wäre ein solches Grundrecht auf Sicherheit – im weitesten Wortsinn – mit unserem Rechtsstaatsverständnis und den wesentlichen Grundrechtsfunktionen unvereinbar. […]Sicherheit darf nicht gegen Freiheit und Freiheit nicht gegen Sicherheit verwendet werden. […] Stets ist ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen Sicherheitsmaßnahmen und den eingeschränkten Freiheitsrechten erforderlich.“
    Dem ersten Satz möchte ich unter Verweis auf die in Deutschland herrschende Grundrechtsdogmatik widersprechen: Ich denke ein solches Grundrecht auf Sicherheit liegt gerade in der Logik des herrschenden Grundrechtsverständnisses begründet und stellt insofern dessen konsequente dogmatische Weiterführung dar.
    Die beiden nachfolgenden Sätze halte ich für widersprüchlich.
    Zur Begründung darf ich auf meinen Beitrag in der Debatte um die Äußerungen des damaligen Innenministers Friedrich verweisen: https://www.juwiss.de/2013-79/

    Antworten
  • Angesichts des Wortlaut von Art. 6 EU GRCh („Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“) verstehe ich die Aufregung nicht so ganz. Was hat der EuGH denn erfunden? So wie ich das sehe hast er einfach nur Art. 6 abgeschrieben.

    Antworten
  • Oliver Daum
    7. März 2016 22:34

    Hallo Gabriele,

    ich muss mich einmal outen: Ich habe die ganze Diskussion um das Friedrich’sche Supergrundrecht erst durch Deinen Beitrag richtig einordnen können. Vielen Dank dafür.

    In Deinem Beitrag zeichnest Du ein recht düsteres Bild von einem Sicherheitsgrundrecht und lehnst es aus mehreren Gründen ab. Zum einen würde durch die Einführung eines solchen Rechtes „der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers[…] erheblich beschnitten“ werden. Soweit ich Dich verstanden habe, hattest Du hierbei an das Sicherheitsgrundrecht in seiner abwehrrechtlichen Dimension gedacht. Unabhängig davon, dass hieran auch die Exekutive und die Legislative gebunden wäre, lehnst Du das Supergrundrecht ab, weil sich der Gesetzgeber selbst dafür entscheiden würde, sich zugunsten seiner Bürger einem weiteren Abwehrrecht zu unterwerfen?

    Zum anderen lehnst Du auch eine objektiv-rechtliche Geltung eines Sicherheitsrechts mit dem Argument ab, dass andererseits „Grundrechtseingriffe durch sicherheitspolitische Maßnahmen quasi im Ermessen des Staates“ stünden. Weder ein Ermessen noch ein quasi Ermessen kann ich hierin sehen. Greifen staatliche Behörden in Grundrechte ein, ist der Maßstab nicht die Zweckmäßigkeit, sondern die Verfassungskonformität. Das bedeutet nicht zuletzt, dass Grundrechtseingriffe, die auf der Grundlage des Sicherheitsgrundrechts erfolgen würden, nach einer Abwägung mit dem betroffenen Grundrecht, verhältnismäßig sein müssen. Sicherheitsgrundrecht ist kein alle anderen Grundrechte, insb. Art. 1 Abs. 1 GG, überragendes Grundrecht. Vielmehr würde sich ein solches dem Gefüge der anderen Grundrechte anpassen.

    In Art. 13 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 GG (Du merkst, ich bin mittlerweile im GG angekommen) wird der Begriff „Sicherheit“ ausdrücklich genannt und von noch mehr Artikeln wird er vorausgesetzt bzw. wenn von Gefahr und Gefahrenabwehr gesprochen wird, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zum Sicherheitsbegriff. In Deiner Analyse kommt das Sicherheitsgrundrecht aber gar nicht „gut weg“. Zwar nennst Du dann das Sicherheitsgrundrecht als staatliche Schutzpflicht im Rahmen des Untermaßverbotes. Allerdings wird mir nicht klar, ob das auch Deine Meinung ist, welchen konkreten Inhalt das hat und ob in Anbetracht der Erwähnungen etc. im GG nicht doch eine verfassungsrechtliche Verankerung der Schutzpflicht wünschenswert wäre?

    Mit den besten Grüßen aus Kiel

    Oliver

    Antworten
  • Helga-Maria Pobein
    22. März 2016 09:47

    Nur ein kurzer Kommentar:
    mAn ist eine kritische Beurteilung dieses sog. „Grundrechts“ auf Sicherheit gerade hinsichtlich der insbes im dt Verfassungsrecht betonten Funktion der GRte als Abwehrrecht ggüb staatl Eingriffen zu rechtfertigen. Dies wird daran deutlich, dass dieses sog. „Grundrecht“ überwiegend eben nicht als AbwehrR ggüb staatl Eingriffen, also in seiner subjektivrechtlichen Ausprägung, verstanden und diskutiert wird, wie auch in diesem konkreten Fall: „Um den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des asylsuchenden Klägers zu rechtfertigen, hat sich der EuGH eben dieses Grundrechts auf Sicherheit bedient und befunden, dass…“.Dem mAn richtigen Verständnis der Grundrechtsfunktionen entsprechend ist Sicherheit als – zugegeben wichtiges, aber rechtlich unselbständiges – Korrelat der Freiheit zu verstehen. Ausserdem finden die FreiheitsRte des Einzelnen ja ihre Grenze in den FreiheitsRten anderer GrundRtsträger. Dies konsequent umgesetzt, bedürfte es dann auch nicht eines derartig risikoreichen, neuen Grundrechts.
    Noch ein Gruss aus Kiel
    Helga-Maria

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