„A Common European Asylum System is here“ oder „Lipstick on a pig“?
von CARSTEN HÖRICH
Am 12. Juni vollendete das Europäische Parlament die 2. Stufe des sog. Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Als letzte Bausteine sind nunmehr – nach fast fünfjährigen Verhandlungen – Neufassungen der Dublin-Verordnung, der sog. Eurodac-Verordnung, der Asylverfahrensrichtlinie und der Aufnahmerichtlinie durch das Parlament verabschiedet worden. Nunmehr soll die Arbeit an der – auch von Art. 78 Abs. 1 AEUV geforderten – gemeinsamen Politik im Bereich Asyl, subsidiärer und vorübergehender Schutz vorerst abgeschlossen sein.
Ist dieses Gemeinsame Europäische Asylsystem tatsächlich ein solches oder existieren die bestehenden Mängel des Systems weiter? Sind die Reformen im Ergebnis nicht anderes als „lipstick on a pig“ oder existiert nun tatsächlich das vielbeschworene Gemeinsame Europäische Asylsystem?
Die Dublin-III-Verordnung
Die Dublin-III-Verordnung als reine Zuständigkeitsregelung bestimmt, welches Land für die Bearbeitung eines Asylantrags verantwortlich ist. Dies ist grundsätzlich immer das Land, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Asylbewerber illegal überschritten hat (Art. 13 Abs. 1). Abweichende Regelungen für diese Zuständigkeiten finden sich bspw. für Minderjährige oder bei Antragstellern, deren Familienangehörige Begünstigte internationalen Schutzes sind (vgl. Art. 8 ff.). Nur in diesem zuständigen Land besteht ein Aufenthaltsrecht für Asylbewerber. Sollten diese in einem anderen Mitgliedstaat angetroffen werden, so werden sie in den zuständigen Mitgliedstaat verbracht.
Eine der wichtigsten Neuerungen der Dublin-III-Verordnung ist, dass nunmehr auch Subsidiär-Schutzberechtigte vom Dublin-Verfahren erfasst sind (Art. 2 b). So sind nunmehr alle Fallgruppen des internationalen Schutzes dem Dublin-Verfahren unterstellt. Weiterhin ist in Art. 3 Abs. 2 nunmehr die Rechtsprechung des EGMR und des EuGH wortgetreu umgesetzt, wonach eine Überstellung dann unzulässig ist, wenn „es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen … systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen“.1 Gegen eine Überstellungsentscheidung gibt es in Art. 27 nun auch klare Vorgaben für Rechtsmittel gegen diese Entscheidung. Erstmals findet sich jetzt aber auch in Art. 28 eine klare Regelung über die Möglichkeit der Inhaftierung eines Betroffenen bei Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr.
Die Eurodac-Verordnung
Die Eurodac-Verordnung ist die Rechtsgrundlage für das Europäische Datenbanksystem „Eurodac“, in welcher die Fingerabdrücke von allen Asylbewerbern und innerhalb der Europäischen Union angetroffenen illegal aufhältigen Drittausländern, die mindestens 14 Jahre alt sind, gespeichert werden. Stellt jemand einen Asylantrag, werden seine Fingerabdrücke genommen und gespeichert. Bei jeder weiteren Kontrolle innerhalb der Union erfolgt dann ein Abgleich mit der Datenbank. Die Eurodac-Verordnung ist die rechtliche Grundlage für die Durchführung der Vorschriften der Dublin-Verordnung. Neu eingeführt wurde insbesondere, dass die Polizeibehörden in den Mitgliedstaaten und Europol Zugang zur Eurodac-Datenbank mit den Fingerabdrücken der Asylsuchenden erhalten sollen, um Terrorismus und schwere Kriminalität besser bekämpfen zu können. Dieses Zugriffsrecht soll – auch wenn der Schutzantrag erfolgreich war – drei Jahre nach Stellung des Asylantrags bestehen.
Die Asylverfahrensrichtlinie
Die Asylverfahrensrichtlinie schreibt den Verwaltungsablauf des Asylverfahrens in den Mitgliedstaaten vor. Hier findet sich nun erstmals eine Regelung über gemeinsame Fristen zur Bearbeitung von Asylanträgen (Standard-Frist von sechs Monaten, mit begrenzten Ausnahmen) und neue Vorschriften hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse unbegleiteter Minderjähriger oder anderer besonders schutzbedürftiger Personen. Kritisiert wird, dass es den Mitgliedstaaten weiterhin möglich ist, „sichere Drittstaaten“ zu definieren (vgl. Art. 36 ff.).
Die Aufnahmerichtlinie
Einer der Hauptkritikpunkte an der Neufassung der Aufnahmerichtlinie, welche, grob gesagt, die sozialen Rechte von Asylbewerbern regelt, ist, dass diese nunmehr in Art. 8 Abs. 3 eine Liste von Gründen für die Inhaftnahme von Asylbewerbern beinhaltet. Diese sind allerdings derart weit gefasst, dass praktisch jeder Fall unter diese subsumierbar ist. Auch stellt sich die Frage, warum die Haftmaßnahme, die der absolute Ausnahmefall bleiben soll, derart viele Ausnahmetatbestände braucht. Die Normierung legt die Befürchtung nahe, dass hieraus eher die Regelinhaftierung von Asylbewerbern folgt als die beabsichtigte Ausnahmeinhaftierung. Grundsätzlich gilt, dass Asylbewerber nur in speziellen Gewahrsamseinrichtungen festgehalten werden dürfen. Dies ist folgerichtig, da das Trennungsgebot für Abschiebehäftlinge durch die Rückführungsrichtlinie bereits vorgeschrieben ist.
Ausdrücklich normiert ist nunmehr in Art. 17 Abs. 2, dass die Mitgliedstaaten während des Asylverfahrens Leistungen erhalten, die „einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet“. Interessant ist dies insbesondere, da eine Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes ansteht, nachdem das Bundesverfassungsgericht dieses für verfassungswidrig erklärt hat. Der Wortlaut der Anforderungen an den Gesundheitsschutz im Art. 17 Abs. 2 geht über die Vorgaben des derzeitigen § 4 Asylbewerberleistungsgesetzes hinaus. Dieser muss daher – spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist – an die Richtlinienanforderungen angepasst werden.
Eine wichtige Verbesserung ist, dass Asylbewerber bereits neun Monate nach der Antragstellung einen Zugang zum Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten erhalten sollen. Diese Frist beträgt in Deutschland derzeit noch zwölf Monate. Allerdings ist es auch weiterhin zulässig, den Arbeitsmarkzugang dann von der sog. Vorrangprüfung abhängig zu machen (vgl. § 39 AufenthG).
„Common European Asylum System“ oder „Lipstick on a pig?“
Die neuen Regelungen enthalten einige Verbesserungen für die Betroffenen, bspw. die erstmalige Festschreibung von Verfahrensdauern oder die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten im Dublin-Verfahren. Ob dies allerdings tatsächlich eine Verbesserung des Flüchtlingsschutzes darstellt, kann bezweifelt werden. Denn die Grundidee des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, dass tatsächlich in allen Mitgliedstaaten vergleichbare Entscheidungen getroffen werden und dass die Lebenssituation in den Mitgliedstaaten für alle Asylbewerber gleich ist, ist nicht umgesetzt. Die rechtlichen Regelungen eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems knüpfen daher immer noch nicht an ein tatsächlich bestehendes Europäisches Asylsystem an. Im Rahmen der Umsetzung der nun erlassenen Richtlinien und Verordnungen in den Mitgliedstaaten wird sich zeigen, ob ein solches System eingeführt wird und vergleichbare Bedingungen in den Mitgliedstaaten tatsächlich entstehen. Im Ergebnis ist daher eine abschließende Wertung der jetzt verabschiedeten Regelungen erst nach ihrer Umsetzung möglich.2 Sollten allerdings diese vergleichbaren Bedingungen nicht entstehen, handelt es sich bei den jetzigen Neuregelungen tatsächlich nur um „lipstick on a pig“.
Erwähnt sein soll noch, dass auch nach Umsetzung des Asylpaktes ein anderes Grundproblem ungelöst bleibt. Wie soll jemand nach Europa gelangen, um hier einen Asylantrag zu stellen? Die Grenzüberwachungs- und damit einhergehend Einreiseverhinderungsmaßnahmen (bspw. durch den Ausbau der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, kurz: FRONTEX) werden weiter ausgebaut und ein tatsächlicher Zugang zum Asylverfahren somit stark erschwert. Im Ergebnis entstehen nun rechtliche Regelungen, um ein einheitliches Schutzsystem für Asylsuchende zu installieren, aber gleichzeitig wird der Zugang zu diesem Schutzsystem weiter erschwert.
Weitere kritische Analysen finden sich unter www.proasyl.de.
- Hiermit einher geht auch die erstmalige Einführung eines Frühwarnsystems, Art. 33, welches Krisensituationen in den Asylverfahren der Mitgliedstaaten frühzeitig erkennen und zu deren Lösung beitragen soll. [↩]
- So sagt auch Kommissarin Malmström in ihrem Blog am Ende des Beitrages, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem erst nach Umsetzung der Richtlinien vorliegt. [↩]